Südafrikaner feiern gern und trinken viel. An den Wochenenden gehört ein Grillfest mit Bier und Wein fast immer zum Freizeitvergnügen unter freiem Himmel. In den Townships fließt bei traditionellen Veranstaltungen wie Hochzeiten und Beerdigungen reichlich Alkohol. Aber auch jenseits der Feierlaune ist der Alkoholkonsum in Südafrika besorgniserregend hoch. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO hat das Land eine der höchsten Konsumraten der Welt.
Dem Fachorgan „South African Medical Journal“ zufolge trinken die knapp 52 Millionen Südafrikaner insgesamt fünf Milliarden Liter Alkohol pro Jahr, im Durchschnitt zehn Liter reinen Alkohol pro Kopf. Wenn das selbstgebraute Sorghum- oder Maisbier in den Townships mitgerechnet würde, wäre die Zahl allerdings noch wesentlich höher. Die Folgen des Alkoholmissbrauchs sind Gesundheitsschäden, viele Verkehrsunfälle, schlechte Arbeitsleistungen und besonders die häusliche Gewalt. Sie verursachen Kosten von etwa neun Milliarden Rand (ca. 730 Millionen Euero) pro Jahr, das entspricht einem Prozent des Bruttosozialproduktes. Dem wollte die Provinzregierung Gauteng mit den Metropolen Johannesburg und Pretoria nun mit einem neuen Gesetz entgegentreten: Der Verkauf von Alkohol sollte sonntags verboten werden. Inzwischen hat sie Pläne zurückgenommen, doch über den Nutzen einer solchen Regelung wird noch immer debattiert.
„Dann stocken wir eben vor dem Wochenende auf“, sagt Percy Khumalo und hebt sein Glas. Er sitzt in der kleinen Eckkneipe „De Bliss Corner“ in Braamfontein in Johannesburgs Innenstadt und genießt ein Bierchen nach dem Feierabend. Am Freitag beginnt die Freizeit früh in Südafrika, bereits kurz nach der Mittagszeit füllen sich die Kneipen. Khumalo stammt aus der Township Alexandra und arbeitet als Parkwächter in der Innenstadt. „Wir haben nicht viel, wenig Arbeit, schlechte Versorgung. Warum nicht ein wenig Ablenkung?“, meint er. Später will er weiterziehen, mit dem Minibus-Taxi nach Hause. Dort warten unzählige „Shebeens“, illegale Kneipen, die billiges und oft selbstgebrautes Bier anbieten.
„Ein solches Gesetz würde das kulturelle und soziale Leben der Menschen beeinträchtigen“, sagt Saint Madlala, Sprecher des südafrikanischen Getränkehandelsverbandes. „Es würde den Gewinn vieler Geschäfte schmälern, aber die Nachfrage nach Alkohol nicht bremsen.“ Im Gegenteil: Der illegale Handel mit Alkohol werde verstärkt und schaffe eine weitere Möglichkeit, die Armen auszubeuten.
Adrian Botha, Sprecher des Industrieverbandes für verantwortlichen Alkoholkonsum (ARA), ist ebenfalls skeptisch. „Hier in Südafrika blüht der illegale Handel, und der hängt nicht von bestimmten Stunden oder Tagen ab. Da bringt ein solcher Schritt gar nichts“, sagt er. Stattdessen fordert der Verband, dem Alkoholhersteller und große Handelsketten angehören, die Warnungen vor alkoholischen Getränken in Radio und Fernsehen zu verstärken. Auch sei eine ganzheitliche Aufklärung über die Schäden von Alkohol notwendig. Botha verspricht sich vor allem Erfolg von gezielten Kampagnen für die Jugend.
Autorin
Martina Schwikowski
lebt seit 1995 in Johannesburg und arbeitet als Korrespondentin für die Berliner „tageszeitung“ und als freie Journalistin.Mehr als die Hälfte der Jugendlichen unter 30 Jahren sind arbeitslos. „Eine tickende Zeitbombe“ umschrieb der Gewerkschaftsverband Cosatu kürzlich dieses Phänomen, das sich in Hoffnungslosigkeit ausdrückt. Aber auch in Alkoholkonsum: „Laut Statistiken trinkt jeder zweite Teenager Alkohol“, sagt Vincent Maphai, Geschäftsführer der Brauerei „South African Breweries“ (SAB), und findet das „inakzeptabel“. Das gesetzliche Mindestalter für den Kauf alkoholischer Getränke liegt zwar bei 18 Jahren, aber die Kontrollen sind lasch. SAB hat sich deshalb mit der Regierung und mit dem Verband ARA zusammengetan und zahlreiche Kampagnen und Programme gestartet, um die Jugend über die Risiken des Alkoholkonsums aufzuklären.
Die von SAB gesponserten Programme sind breit angelegt. Sie umfassen Schulbesuche mit Wettbewerben, einen Leitfaden für Eltern, eine Website und Facebook-Material, Beratungen für Teens und vieles mehr. Zugleich will SAB aber in den nächsten fünf Jahren 2,5 Milliarden US-Dollar für neue Brauereien auf dem afrikanischen Kontinent investieren. Das Unternehmen trägt derzeit allein mit 66,2 Milliarden Rand oder 3,1 Prozent zum Bruttosozialprodukt in Südafrika bei – und sorgt damit für 1,7 Prozent des Steueraufkommens.
Die Politiker sind besorgt über den Verfall der Moral und die Gesundheitsfolgen des Alkoholmissbrauchs und erhöhen regelmäßig die Alkoholsteuern. Die Regierung diskutiert zudem über das Verbot von Alkoholwerbung und ein „Zero-Tolerance“-Limit statt der erlaubten 0,5 Promille Alkoholkonzentration im Blut im Straßenverkehr. Es ist allerdings fraglich, ob das etwas bringt. Denn Alkoholkonsum ist in der südafrikanischen Gesellschaft nicht nur weit verbreitet, sondern auch toleriert. Nach jeder Party fahren Gäste, die etwas getrunken haben, im eigenen Auto nach Hause. Es gibt nur wenige öffentliche Verkehrsmittel, und Taxen werden selten bestellt, wenn der Pegel im Blut steigt. Trinken und Fahren wird als normal betrachtet.
Die langjährigen Kampagnen „Don’t drink and drive“ haben nur begrenzten Einfluss. Jedes Jahr vor den Oster- und Weihnachtsferien wird gewarnt, wenn ganz Südafrika auf den Autobahnen durchs Land fährt. Die Unfallzahlen sinken, aber nach den Ferien gehen sie wieder in die Höhe. Versicherungen behaupten, die meisten Unfälle geschähen infolge von Alkohol am Steuer, und fordern strengere Strafen für Verkehrssünder. Nachts auf den Straßen sei angeblich einer von sieben Fahrern betrunken.
Zuerst müssen Armut und Arbeitslosigkeit bekämpft werden
Ein hoher Alkoholkonsum schädigt unter anderem die Leber, die Magenschleimhaut und das Gehirn, beeinträchtigt die Konzentration und die sozialen Beziehungen. In Südafrika werden zwar Behandlungen für Alkoholabhängige angeboten, die könnten sich jedoch nur Wohlhabende leisten, meint ARA-Sprecher Adrian Botha. Außerdem tummelten sich auf diesem „Markt“ auch unseriöse Gruppierungen, die eine billige Therapie versprächen, aber nicht effizient arbeiteten. Wer Geld hat, kann sich einen Platz in guten Kliniken buchen. Wer arm ist, und das sind die meisten, bleibt davon ausgeschlossen. Und das sind genau die Menschen, die häufig zu viel trinken.
Cosatu-Generalsekretär Zwelinzima Vavi meint deshalb, der Kampf gegen Drogen und Alkoholmissbrauch könne nur gewonnen werden, wenn etwas gegen Armut und Arbeitslosigkeit getan werde. Auf einem Gipfel zu Alkoholmissbrauch in Durban im März erklärte er: „Männer, die eigentlich der Vorstand ihrer Familien sein sollten, sind gestresst, wenn sie arbeitslos sind.“ Sie trinken dann häufig zu viel und werden depressiv oder gewalttätig.
Alkoholmissbrauch führt außerdem dazu, dass die Zahl der Vergewaltigungen, der HIV/Aids-Erkrankungen und der Teenager-Schwangerschaften steigt – ohnehin große Probleme in Südafrika mit gravierenden gesellschaftlichen Folgen. Führend ist das Land zudem bei den Geburten von Kindern, die infolge des hohen Alkoholkonsums ihrer Mutter behindert sind. Die Alkoholembryopathie (Foetal Alcohol Syndrom – FAS) ist weit verbreitet: 122 von 1000 geborenen Kindern haben laut einer Studie der Stiftung FARR (Foundation for Alcohol Related Research) von 2002 solche Schäden davongetragen. Zum Vergleich: In den USA sind nur acht von 1000 Neugeborenen betroffen. Alkoholembryopathie führt zu körperlichen Fehlbildungen und einer Schädigung des zentralen Nervensystems. Dadurch entstehen beim Kind Störungen in der Hirnleistung – von Lernschwierigkeiten bis hin zur geistigen Behinderung – und Störungen der seelischen, emotionalen und sozialen Entwicklung.
Vor Jahren waren das noch die Folgen der Weinindustrie am Kap, als arme Farmarbeiter mit Alkohol bezahlt wurden. Inzwischen trinken viele schwangere Frauen aus den Armenvierteln der Städte und in ärmeren Provinzen ein Gebräu, das aus Hefe, Wasser und Batteriesäure besteht. Das sogenannte „Kah-Kah“ wird in illegalen Brauereien hergestellt und macht schnell abhängig. Verschiedentlich wird der Verdacht geäußert, die werdenden Mütter fügten ihren ungeborenen Kindern irreversiblen Schaden zu, um dadurch mehr Kindergeld vom Staat zu bekommen. Für ein behindertes Kind bezahlt der Staat 1200 Rand monatlich (rund 100 Euro), für ein gesundes nur 250 (21 Euro). Diesem Verdacht will die Stiftung FARR nun mit einer Studie nachgehen.
Aber es gibt auch Fortschritte im Kampf gegen den Alkoholmissbrauch von Schwangeren. Zum Beispiel in der kleinen Stadt De Aar in der Provinz Nordkap. In der ländlichen Gemeinde war noch vor zehn Jahren eines von zehn Kindern aufgrund von FAS behindert. De Aar galt als Weltrekordhalter bei diesem traurigen Resultat von Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft. Jetzt ist die Rate in dem Städtchen um 30 Prozent gesunken – dank der Stiftung FARR, die seit 1997 besteht und sich mit Vorbeugungsprogrammen an die Frauen wendet.
„Alkohol ist oft Teil des Lebens“, sagt Leana Olivier von FARR. „Mangel an Wissen und Ignoranz spielen auch eine Rolle.“ Viele der Frauen sind depressiv oder missbraucht worden, die meisten sind unterernährt. 80 Prozent der 28.000 Einwohner von De Aar haben keine Arbeit und „Shebeens“ sind überall, Alkohol ist billig. Besonders Bier. „In sehr armen Gemeinden ist Alkohol das Mittel zum Entspannen“, sagt Olivier. Finanziell wird die Stiftung unterstützt vom Verband der Getränkeindustrie ARA, der Brauerei SAB und dem Sozialministerium in Pretoria. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf Prävention und Beratung. Die Mitarbeiter von FARR machen Hausbesuche, sie kümmern sich um alle Schwangeren, um eine Stigmatisierung von trinkenden Frauen zu verhindern.
Die Stiftung will ihre Arbeit auf weitere Provinzen ausdehnen. Doch auch das Sozialministerium müsse mehr Verantwortung übernehmen, betont Leana Olivier. So gebe es viel zu wenig Rehabilitierungszentren für Alkoholabhängige im Land – in De Aar gar keine. Alkoholsüchtige Mütter müssten nach Kapstadt gebracht und dort betreut werden. Und das koste viel Geld.
Allen Gesetzen und Kampagnen zum Trotz führen die südafrikanischen Behörden einen oft erfolglosen Kampf gegen den Alkoholmissbrauch. Denn etwa 70 Prozent des konsumierten Alkohols wird in den illegalen Kneipen verkauft – die Kunden dort bleiben von den meisten neuen Regelungen unberührt. Und kaum wird eine „Shebeen“ geschlossen, öffnet um die Ecke eine neue – und bietet selbstgebrautes Mais- oder Sorghum-Bier gegen den Frust.
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