Herr Steinbrink, Sie haben gerade gemeinsam mit einer Gruppe von Studierenden den Slumtourismus in der namibischen Hauptstadt Windhuk untersucht. Was wird da angeboten?
Angeboten werden geführte Touren durch Katutura, eine Siedlung, die während der Apartheid nach der Zwangsumsiedlung der schwarzen Bevölkerung als Township errichtet wurde. Inzwischen ist Katutura die Hauptattraktion für alle Reisenden, die sich länger als einen Tag in Windhuk aufhalten; die Stadt hat sonst nicht viel zu bieten. Die meisten kommen am Flughafen an, gehen aber sofort auf Safari. Die Stadtverwaltung hat den Township-Tourismus von Anfang an gefördert, damit die Urlauber länger bleiben. Inzwischen bieten 20 Unternehmen solche Touren an, häufig im Anschluss an eine Safari. Damit sich die Touristen bis zu ihrem Rückflug nicht langweilen.
Das klingt wie eine weitere Safari – dieses Mal durch das Armenviertel.
Es gibt in der Tat bedenkliche Beispiele: Ein deutsches Unternehmen benutzt für seine Touren offene Jeeps aus den 1960er Jahren. Eines der Fahrzeuge hat hinten ein Wasserbecken, damit die Touristen während der Tour ihre Beine kühlen und einen Drink nehmen können. Dieser Anbieter fährt gezielt in besonders arme Bereiche der Siedlung, lockt dort Kinder mit Eiswürfeln auf den Jeep, damit die Touristen etwas zum Anfassen und Knipsen haben. Bei dieser Tour werden deutlich koloniale Bilder vermittelt. Andere Anbieter hingegen sehen es als ihre Aufgabe, mit bestehenden Stereotypen zu brechen, sie wollen Bilder jenseits von Elend, Dreck und Gewalt transportieren.
Oft wird Slumtouristen auch Voyeurismus vorgeworfen.
Meine Beobachtungen und Gespräche geben kaum Hinweise darauf, dass die Touristen von den Bewohnern als Voyeure wahrgenommen werden. Den meisten ist die Anwesenheit der Touristen ziemlich egal. Manche entwickeln auch Stolz auf ihr Viertel, weil sich jemand von außen dafür zu interessieren scheint. Anders ist es, wenn Touristen in die unmittelbare Privatsphäre eindringen. In Katutura fangen Marktfrauen gerade an, für Fotos Geld zu verlangen, wenn nichts gekauft wird. Viele Touristen empfinden das als ärgerlich – nicht wegen des Geldes, sondern weil sie das als Entwertung ihres Urlaubsfotos ansehen.
Was reizt die Touristen an diesen Angeboten?
Grundsätzlich geht es im Urlaub darum, eine Distanz zum Alltag herzustellen, in dem man etwas anderes erlebt. Und der Slum gilt als „Ort des Anderen“ und zugleich als besonders authentisch, jenseits der touristischen Inszenierung. Die Armut garantiert die Authentizität. Die Pestbeule im Gesicht eines indischen Bettlers ist echt. Anders als in den Innenstädten der Metropolen Brasiliens oder Südafrikas, die sich im Zuge der Globalisierung immer mehr angleichen, meint man, im Slum noch die wirklichen Unterschiede erleben und entdecken zu können.
Die Anfänge des Slumtourismus im globalen Süden gehen in die 1990er Jahre zurück. Wie hat er sich seitdem verändert?
Zunächst waren diese Touren dort ein Nischenprodukt für politisch Interessierte. Nach dem Ende der Apartheid wollten die Touristen in Südafrika vor allem die Township Soweto sehen als symbolischen Ort der Unterdrückung und des Anti-Apartheid-Kampfes. In Rio de Janeiro begann der Favelatourismus 1992 im Zuge des Nachhaltigkeitsgipfels. Aus Sicherheitsgründen waren die Favelas während der Konferenz abgesperrt worden. Das machte Konferenzteilnehmer wie Journalisten neugierig; sie wollten diese Orte besuchen. Inzwischen sind kulturelle Aspekte wichtiger. Townships werden heute vornehmlich als Orte des echten afrikanischen Lebens präsentiert, Favelas als Orte der echten brasilianischen Exotik.
Die Stadtverwaltung von Windhuk unterstützt das „slumming“. Ist das in anderen Städten auch so?
Auch das hat sich mit der Zeit verändert. Anfangs war die Stadtpolitik in den betreffenden Städten wenig begeistert, weil damit ja der Blick auf die vermeintlichen Schandflecke der Stadt gelenkt wird. In Rio de Janeiro etwa führten die Touren vor allem nach Rocinha. Es ging um die Nähe zu Drogenhandel und Kriminalität, die mit Sturmgewehren bewaffneten Jugendlichen waren dabei ein besonderer Nervenkitzel und eine Hauptattraktion. Inzwischen fördert Rio de Janeiro eine andere Form des Favelatourismus und nutzt ihn für eine Imagekampagne vor den Megaevents Fußball-WM und Olympiade. So werden Touristen gezielt zu Infrastrukturprojekten in den befriedeten und bunt angemalten Favelas und zu neuen Polizeistationen kutschiert. Anstelle von Gewalt und Elend stehen Capoeira, Caipirinha, Samba und Fußball im Mittelpunkt.
Wird da nicht das Bild transportiert „arm aber glücklich“?
Ja, durch den touristischen Blick werden die Slums häufig nicht als Folge weltwirtschaftlicher Ungleichheit betrachtet, sondern als Ausdruck einer Lebensweise, einer kulturellen Eigenart. Die Armut wird regelrecht entpolitisiert, das finde ich bedenklich. Anderseits sind die Bilder von einem Slum, die Touristen vor einer solchen Tour haben, extrem von medial verbreiteten Horrorvorstellungen geprägt. Da erscheint es angebracht zu zeigen, dass die Menschen, die dort leben, sehr alltäglichen Aktivitäten nachgehen.
Was haben die Slumbewohner von diesen Touren?
Teilweise werben die Tour-Anbieter damit, dass sie einen Teil ihrer Gewinne an Kindergärten oder Vorschulen in den Slums spenden. Und die Touristen geben Geld für Kunsthandwerk, Essen und Trinken aus. Das sind aber keine hohen Beträge, und es profitieren nur sehr wenige davon. Manchmal sind Touristen bereit, für soziale Projekte zu spenden – auch längerfristig. Aber die Hoffnung, Armutstourismus sei ein Mittel, um die Armut zu bekämpfen, erscheint mir erstens etwas paradox und zweitens unbegründet. Die meisten Tour-Anbieter, etwa in Rio, kommen nicht aus den Favelas. Das liegt nicht zuletzt an der Sprachbarriere, nur wenige Favela-Bewohner sprechen Englisch. Und sie haben kein Geld für die nötigen Investitionen, etwa in Fahrzeuge, um die Touristen aus ihren Unterkünften abzuholen. Inzwischen wird auch versucht, den Slumtourismus im Sinne eines gemeindebasierten Ansatzes zu fördern. Die Resultate sind aber eher ernüchternd.
Das Gespräch führte Gesine Kauffmann
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