Nicht strafen, reden

Eine Lösung für alle finden: Auf diese Strategie setzen die Dorfchefs in Burkina Faso, wenn sie zwischen Streithähnen schlichten müssen. Denn vor allem anderen liegt ihnen der Frieden in ihrer Gemeinschaft am Herzen. Bei Diebstahl allerdings hört das Verständnis auf.

Wenn Naba Koaga vor die Tür tritt, dann steht jeder für ihn auf. Ein Moment der Stille tritt ein. Langsam schreitet der grauhaarige Mann, der ein blaues Gewand trägt und sich seit einiger Zeit auf einen Gehstock stützen muss, zu dem kleinen, offenen Rundbau. Das Dach ist mit Stroh gedeckt und wird von dicken Holzpfählen getragen. Wände gibt es nicht. Wer mit Naba Koaga, dem Chef des Dorfes Gourgou im Südosten von Burkina Faso, sprechen möchte, muss hierher kommen.

Die Kinder schauen ihn neugierig an und verbeugen sich. Die Erwachsenen begrüßen ihn auf Mossi, der am weitesten verbreiteten Sprache im Land, und schütteln ihm lange die Hand. Erst wenn er sich auf den kleinen Stuhl gesetzt hat, dürfen sich auch alle anderen niederlassen. Seinen Stock klemmt er zwischen die Beine. Der Naba wischt sich über die Stirn und blinzelt in die Nachmittagssonne. Es ist heiß, fast 40 Grad. Mit der Hitze müsse man leben, sagt er. „Strom habe ich nicht, und bis zum nächsten Brunnen sind es mehrere Kilometer“, fügt er hinzu und zeigt auf seinen Hof. Die kleinen, runden Häuser sind von einer Mauer aus Lehm umgegeben. Kein Luxus, kein Palast? Naba Koaga schüttelt energisch den Kopf. „Nein, natürlich nicht.“ Darauf kommt es ihm nicht an.

Autorin

Katrin Gänsler

ist freie Journalistin in Westafrika. Sie lebt in Lagos und Cotonou und berichtet für deutschsprachige Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Sein „Saal“ für Audienzen demonstriert das am besten. Durch den offenen Bau weht immerhin ein kleiner Luftzug. Besucher quetschen sich auf die schlichten Holzbänke. Wie oft Naba Koaga – das Wort Naba ist die offizielle An- rede für den traditionellen Herrscher von Gourgou – hier schon Gäste, Streitlustige und Ratsuchende empfangen hat, weiß er nicht. In den vergangenen fünf Jahren, in denen er das Amt ausübt, müssen es an die tausend gewesen sein. „Eine wichtige Aufgabe“, sagt er knapp. Seine Macht als Dorfchef habe schließlich nichts mit Reichtum zu tun. Er repräsentiert sein Dorf und ist vor allem für ein friedliches Zusammenleben verantwortlich.

Wie das funktioniert, hat er sich von seinem Großvater abgeschaut, der selbst einst Chef von Gourgou war. Nach dessen Tod übernahm sein Onkel das Amt. Als dieser starb, wurde Koaga als Naba inthronisiert. Damit gehört er nun auch zu den acht Ehrenmännern von Tenkodogo, der nächsten Provinzstadt, die nur sieben Kilometer entfernt liegt. Dort trifft sich der Rat dieser acht Ehrenmänner – auch die übrigen sind Dorfchefs – regelmäßig.

Naba Koaga nimmt seinen Stock in die linke Hand und zeichnet mit dem Ende ein paar Kreise in den Sand. Am späten Nachmittag werden die Temperaturen langsam wieder erträglich. Er schweigt. Zwei Jungen hinter ihm auf dem Boden lachen. Das Amt als Naba, das er als eine Angelegenheit zwischen Vater und ältestem Sohn bezeichnet, hätte er damals nicht annehmen müssen, sagt der grauhaarige Mann, der mit der Inthronisierung seinen Geburtsnamen verloren hat. Seitdem heißt er nur noch Naba. „Ich habe es für meinen Großvater getan. Ich wollte, dass die Herrschaft in unserer Familie bleibt.“ Hätte er abgelehnt, wäre die auf die Familie seines Onkels übergegangen. Das wäre auch passiert, wenn sein Vater nur Töchter gezeugt hätte.

Eine Frau als Naba? Naba Koaga kichert, und die Männer, die nun im Halbkreis um ihn herum sitzen, lachen laut los. „Das ist eine Angelegenheit unter Männern“, sagt der Naba schließlich, als das Gelächter langsam verklingt. „Für die Inthronisierung gibt es spezielle Riten und Opferrituale. Eine Frau kann sie nicht ausführen.“ Er zeigt auf eine kleine Kalabasse und zwei gelbe Kanister mit Dolo. Dolo ist das in Burkina Faso populäre Bier aus Sorghum, das zu jedem Anlass getrunken wird. Später am Abend will er damit ein Opfer vorbereiten. „Schon das wäre für eine Frau unmöglich“, sagt Naba Koaga und kichert noch einmal kurz. Details verrät er aber nicht.

Meist streiten sich Nachbarn über Grenzen oder Kühe

Trotzdem kommen auch Frauen mit ihren Problemen zu ihm. Mehrheitlich seien es aber Männer. Meist tragen sie Streitigkeiten unter Nachbarn vor. Es geht etwa um unklare Grenzziehungen zwischen Feldern oder Höfen. Jemand hat Baumaterial genommen, das anscheinend nicht ihm gehört. Eine Ziegen- oder Kuhherde zieht mal wieder unbeaufsichtigt durchs Dorf und zertrampelt alles. Manchmal dreht sich der Streit um eine angeblich ausgespannte Ehefrau. Der Naba nickt schweigend. Über brisante Fälle mag er nicht öffentlich reden.

Doch ob unbeaufsichtigtes Vieh, unklare Grenzen oder gehörnte Gatten: Oberstes Gebot ist es, mit allen Parteien zu sprechen. Dabei muss geklärt werden, ob tatsächlich Baumaterial verschwunden ist und wem die unbeaufsichtigten Kühe und Ziegen wirklich gehören. Anschließend geht es weniger darum zu strafen, sondern nach einer Lösung für beide Seiten zu suchen. „Meist wird mein Vorschlag akzeptiert“, sagt Naba Koaga beiläufig. Wer möchte, darf ihm dann dafür eine Kleinigkeit zustecken. Pflicht sei das aber nicht. Doch wer nicht zufrieden ist, kann den Fall noch einmal auf nächster Stufe beim Naba von Tenkodogo vortragen und geht damit quasi in Berufung.

Mit langsamen Schritten kommt Naba Poanda Basbouré auf die Versammlung zu. Alle Anwesenden erheben sich für den kleinen, gebückt gehenden Mann mit der braunen Hornbrille. Er wirkt etwas erschöpft. Über eine Stunde ist er durch die Nachmittagssonne gegangen. Naba Poanda Basbouré ist Chef von Gando, einem Ortsteil des Dorfes Gourgou, und will Naba Koaga besuchen. Die beiden Männer setzen sich nebeneinander, tauschen eine lange Begrüßung aus und sprechen dann darüber, wie es in dem Teil des Ortes, für den sie die Verantwortung tragen, gerade läuft. „Keine Probleme“, sagt Naba Poanda Basbouré. Mit Streitigkeiten ist in der vergangenen Woche niemand zu ihm gekommen. „Friedlich war es.“

Für ihn liegt das jedoch nicht nur an seiner Mediation, sondern auch daran, dass Burkina Faso generell ein friedliches Land mit langer Verhandlungstradition ist. Eine besondere Rolle spielt sie bei den Mossi, der größten ethnischen Gruppe. Bekannt ist sie längst in ganz Westafrika – in Gestalt des Präsidenten Blaise Compaoré. Compaoré, der seit 1987 an der Macht und damit dienstältester Staatschef Westafrikas ist, versuchte beispielsweise während der politischen Krise in der Elfenbeinküste zu vermitteln.

In den vergangenen Monaten lud er malische Tuareg-Rebellen, die islamistische Gruppierung Ansar Dine sowie die Übergangsregierung von Bamako in die burkinische Hauptstadt Ouagadougou ein, um nach friedlichen Lösungen für Mali zu suchen. Kritiker werfen ihm vor, er lenke nur von den Problemen im eigenen Land ab und seine Rolle als selbsternannter Mediator sei alles andere als uneigennützig.

Gebracht haben seine Bemühungen in Mali nichts. Die Verhandlungen scheiterten, die französische Armee intervenierte, und im Norden kommt es wieder zu Kämpfen zwischen Terroristen, Islamisten und Soldaten. Dass nicht jedes Problem durch Gespräche gelöst werden kann, das ist auch für Naba Poanda Basbouré klar, zum Beispiel dann, wenn ganz offensichtlich ein Dieb im Ort ist. „Der wird sofort der Polizei übergeben“, sagt der Naba und nickt. Die traditionsreichen Mediationsstrukturen reichen nicht immer aus – und sie dürften auch nicht über dem Staat stehen, betont er. 

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erschienen in Ausgabe 5 / 2013: Wer spricht Recht?
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