Wer in Brasilien als Schwarzer selbstbewusst ‚ich’ sagt, hat sich vorher intensiv mit Selbstzensur und Selbstverleugnung auseinandergesetzt“. Cuti weiß nur zu gut, wovon er spricht. Der promovierte Literaturwissenschaftler mit dem bürgerlichen Namen Luis Silva ist einer der vielseitigsten schwarzen Autoren Brasiliens. Poetik und Politik gehen für ihn Hand in Hand. Mit Gedichten, Erzählungen, Essays und Theaterstücken, die zum Teil ins Deutsche übersetzt sind, hat er das Selbstbewusstsein der Afrobrasilianer gestärkt und ihre kulturellen Leistungen sichtbar gemacht.
Seine Literatur ist beseelt vom Freiheitsdrang entlaufener Sklaven, vom rebellischen Geist des legendären Zumbi, der die größte Fluchtburg entlaufener Sklaven zum Symbol des Widerstands gegen die Sklavenhalter gemacht hatte. Dass Zumbis Todestag – er wurde am 20. November 1695 von den Portugiesen geköpft – 2003 als „Tag des schwarzen Bewusstseins“ zum nationalen Feiertag erklärt wurde, verbucht Cuti als Erfolg der Bewegung der Schwarzen, dessen Geschichte er anhand von Gesprächen mit ihrem Gründer José Correia Leite dokumentiert hat.
1980 bildete Cuti, der 1951 in Ourinhos im Staat São Paulo geboren wurde, mit Abelardo Rodrigues, Oswaldo Carmargo und anderen Dichtern die Gruppe „Quilombhoje“. Die jungen Autoren rebellierten gegen die Militärdiktatur und die soziale Ausgrenzung von Schwarzen. „Es ging uns weniger um das Fortkommen des Einzelnen als um die Arbeit im Kollektiv, die Zirkulation von Texten, für die sich damals kein Verlag interessierte“, erinnert sich Cuti. 1982 schlossen er und seine Kollegen sich der Literaturzeitschrift „Cadernos Negros“ an, die seit 1978 einmal im Jahr im Selbstverlag erscheint. Bis 1993 firmierte Cuti als Herausgeber.
Heute ist die Zeitschrift eine unumgängliche Referenz für die von Schwarzen geschriebene Literatur. Sie wird bei der Ausbildung von Lehrern eingesetzt und an Universitäten verwendet. Cuti hat über „Cadernos Negros“ die Bandbreite einer Literatur aufgezeigt, die gemeinhin als afro-brasilianisch bezeichnet wird. Er benutzt allerdings lieber den Begriff „negro-brasilianisch“. Und man spürt das Gewicht, das er diesem Wort beimisst, wenn er zur Erläuterung auf den Rassismus in Brasilien eingeht: „Mit „negro-brasilianisch“ will ich den politischen Aspekt einer Literatur hervorheben, die sich als Literatur des Widerstands und des Kampfs gegen den Rassismus versteht“, erklärt er.
Mittlerweile gibt es eine Reihe kleinerer Verlage, in denen schwarze Autoren publizieren
Brasilien halte am Mythos der Rassendemokratie fest, am friedlichen und harmonischen Zusammenleben der Rassen und Kulturen, das es nie gegeben habe, kritisiert Cuti. Gegen diese Schönfärberei anzugehen, sei wie der mühselige Befreiungsversuch aus einer Zwangsjacke, wie das Erwachen aus einer Narkose. „Man wird dabei mit Machtstrukturen konfrontiert, die Schwarze über die Jahrhunderte hinweg zur marginalisierten Mehrheit machten.“
Zwar haben Millionen Schwarze im vergangenen Jahrzehnt vom wirtschaftlichen Aufstieg Brasiliens profitiert. Doch auf Spitzenposten in Politik und Wirtschaft sind sie noch immer eine Ausnahme wie Joaquim Barbosa, der erste schwarze Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs in Brasília. An den Universitäten hat sich das Quotensystem, das Schwarzen den Zugang zum Studium ermöglichen soll, noch nicht richtig etabliert, und das Gros der Autoren, die ihre Bücher in den Großverlagen von Rio de Janeiro und São Paulo veröffentlichen, ist weiß und männlich. Schwarze Romanfiguren – wenn sie überhaupt vorkommen – gehören zum Dienstpersonal oder werden in den Favelas von Drogenhändlern ausgenutzt. Wie die Jugendlichen in Paulo Lins Roman „Die Stadt Gottes“, der in der Verfilmung von Fernando Meirelles ein internationaler Kinohit wurde.
Paulo Lins und Ana Maria Goncalves sind bislang die einzigen schwarzen Autoren, die den Sprung in die Großverlage geschafft haben. Ana Maria Goncalves wurde 2007 für den Roman „Um defeito de cor“, in dem sie aus Frauensicht die Geschichte der Sklaverei aufrollt, mit dem Literaturpreis der kubanischen „Casa de las Américas“ ausgezeichnet. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe kleinerer Verlage – Pallas in Rio de Janeiro, Mazza in Belo Horizonte, Selo Negro in Sao Paulo – in denen schwarze Autoren wie Conceição Evaristo, Miriam Alves, Nei Lopes und etliche andere publizieren.
Dass die Hürden in der Literatur für Schwarze viel höher sind als beim Sport oder in der Musik, liegt laut Cuti am literarischen Selbstverständnis Brasiliens. Der offizielle Kanon habe sich an den literarischen Traditionen Portugals und Frankreichs orientiert, das Interesse an den Erzählkünsten Afrikas war gering, zumal sie nicht schriftlich fixiert, sondern mündlich überliefert wurden, nachdem sie auf den Sklavenschiffen mit Millionen Afrikanern nach Brasilien gelangt waren. Den Umgang eines schwarzen Autors mit diesen literarischen Traditionen vergleicht Cuti mit dem Blick in die Zerrspiegel der Jahrmärkte, die die wahre Dimension des Betrachters entstellen.
Autorin
Margrit Klingler-Clavijo
arbeitet als freie Hörfunkjournalistin und Übersetzerin in Frankfurt am Main. Ihre Schwerpunkte sind Lateinamerika und die Karibik.Die literarische Produktion schwarzer Autoren wird in Brasilien nur zögerlich als Teil des anerkannten literarischen Erbes, des Kanons, wahrgenommen. Die Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels, die tiefe Spuren im individuellen und kollektiven Gedächtnis hinterlassen hat, wurde lange Zeit verdrängt. 2003 wurde auf Betreiben des „Movimento Negro“ ein Gesetz verabschiedet, das die Geschichte Afrikas und seiner Kulturen als Pflichtfach im Lehrplan verankert. Zuvor wurde sie weder an Schulen noch an Universitäten vermittelt.
„Meine Literatur ist im Dialog mit dem Kanon entstanden, der Suche nach dissonanten Stimmen. Ich habe die grundlegenden Werke des Kanons studiert, habe sie ergänzt und parodiert, gegebenenfalls die Syntax gesprengt und neue Worte geschaffen, um Schwarze jenseits von Klischees und Stereotypen in all ihrer Komplexität zu zeigen“, erläutert Cuti. Seine Erzählungen spielen oft in São Paulo und handeln von konfliktträchtigen Beziehungen und Rassenkonflikten, die sich am Aussehen festmachen. Darauf verweisen bereits der Titel des 2009 erschienenen Erzählbands „Contos Crespos“ (Kraushaarige Erzählungen) sowie sein erster, 1978 erschienener Gedichtband „Poemas da Carapinha“ (Kraushaargedichte). „Bei Stellenausschreibungen wird ein gepflegtes Äußeres verlangt. Im Klartext heißt das: kein Kraushaar“, sagt Cuti. Ähnliches gelte für die Hautfarbe. Das habe zur Folge, dass sich viele junge Schwarze das Haar glätten lassen und mit chemischen Aufhellern die Haut ruinieren.
Zur dunkelsten Seite des Rassismus brasilianischer Art rechnet Cuti die rassistisch motivierten Morde an schwarzen Jugendlichen in den Favelas, die trotz scharfer Kritik nicht als solche wahrgenommen werden. Caetano Veloso, der intellektuelle Popstar der brasilianischen Volksmusik, fragte sich unlängst in seinem Blog, wann es zu einer zweiten Abschaffung der Sklaverei käme. Schon vor Jahren schrieb Cuti in dem Gedicht „Die Zukunft“: Die Zukunft der Straßen geht barfuß/und wird zum Dieb/Die Zukunft der Straßen wird von der Polizei verprügelt/Wird verhaftet und getötet wenn sie aufbegehrt.
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