Unter den mehr als 300 Enzykliken, die der Vatikan seit 1740 als offizielle Rundschreiben formuliert hatte, nimmt „Pacem in Terris“ einen besonderen Platz ein. Wenige Monate bevor die sogenannte Friedensenzyklika am 11. April 1963 veröffentlicht wurde, hatte die Welt wegen der Kubakrise am Rande eines Atomkrieges gestanden. Die katholische Kirche hatte mit ihrer antisowjetischen Haltung zur Polarisierung im Kalten Krieg beigetragen. Mit der letzten seiner acht Enzykliken holte Papst Johannes XXIII. nur zwei Monate vor seinem Tod die Kirche aus einer Sackgasse heraus und stellte gleichzeitig die bisherige Lehre vom gerechten Krieg endgültig in Frage.
Früher galten Menschenrechte als Angriff auf die Kirche
„Pacem in Terris“ ist das erste päpstliche Rundschreiben, das sich an „alle Menschen guten Willens“ richtet und nicht nur an die katholischen Gläubigen. Der Verfasser schlägt darin versöhnliche Töne an – in Richtung Sowjetunion, aber auch im Hinblick auf die Lehren, die die Weltgemeinschaft aus den Schrecken der beiden Weltkriege gezogen hatte. Mit der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen 1948 hatte die katholische Kirche lange gehadert. Erstmals hieß ein Papst sie nun gut. In „Pacem in Terris“ integrierte Johannes XXIII. das Konzept der unveräußerlichen Menschenrechte und Grundfreiheiten in die katholische Soziallehre.
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„Die katholische Kirche hat lange – vielleicht sogar zu lange – gebraucht, um ein positives Verhältnis zu den Menschenrechten zu finden“, sagt Jörg Lüer, Referent für Frieden und Versöhnung bei der deutschen Kommission von Justitia et Pax, die Anfang April zum 50. Jahrestag der Friedensenzyklika gemeinsam mit dem Katholischen Militärbischofsamt eine Tagung organisiert hat. Die Errungenschaften der Aufklärung habe man lange als einen Angriff auf die Institution Kirche verstanden. Schmerzhaft seien die Folgen der Französischen Revolution in Erinnerung geblieben. „Die Menschenrechte wurden als Gegensatz zu den göttlichen Rechten gesehen. Man meinte, der Mensch stelle sich über die Schöpfung.“ Johannes XXIII. formulierte damals eine Vision des menschlichen Zusammenlebens, die von vielen als Illusion abgetan wurde. Heute aber steht „Pacem in Terris“ in einer Reihe von Referenztexten zur katholischen Friedenslehre. „Die historischen Zusammenhänge ändern sich. Doch die Frage nach der praktischen Bedeutung einer kirchlichen Friedensvision bleibt“, sagt Lüer. Johannes XXIII. habe sich vor 50 Jahren der Frage gestellt, wie das Gemeinwohl und die Individualrechte ausbalanciert werden könnten. „Das ist heute aktueller denn je. Die Finanzmarktkrise beispielsweise untergräbt die gesellschaftliche Ordnung und wird langfristig den meisten Menschen schaden.“
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