Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hatte Fachleute und Bischöfe aus aller Welt zu der Konferenz eingeladen. Erstmals setzte sich die katholische Kirche auf internationaler Ebene mit dem noch relativ jungen Phänomen auseinander. Es geht um ein weltweites Problem: Schon viele enttäuschte Katholiken haben in den neuen evangelikalen, charismatischen und pfingstlerischen Kirchen eine Glaubensheimat gefunden.
Wer in diesen neuen Kirchen eine Bedrohung sieht, nennt sie Sekten. Die Wissenschaft dagegen spricht neutral von neuen religiösen Bewegungen. Für ihre internationale Tagung über Evangelikale, Charismatiker und Pfingstkirchen hat sich die DBK für die wissenschaftliche Bezeichnung entschieden. Neue Kirchen und andere Frömmigkeitsstile sollen nicht als Bedrohung wahrgenommen werden, auch wenn die Zahlen aufhorchen lassen. Auf rund 400 Millionen werden die Mitglieder evangelikal-charismatischer Gemeinden geschätzt, Tendenz steigend. In Brasilien waren 1940 noch 95 Prozent der Bevölkerung Mitglied in der katholischen Kirche. Heute sind es nur noch 68 Prozent.
Charismatiker nehmen wenig Einfluss auf die Politik
„Der reelle Machtverlust ist allerdings nicht so stark, wie es die Statistik erscheinen lässt“, sagt Johannes Müller, Vorsitzender der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der DBK für weltkirchliche Aufgaben. „Es gibt zwar sehr viele evangelikale, charismatische oder pfingstlerische Kirchen. In der Regel sind sie aber klein und wenig institutionalisiert. Ihr Einfluss auf den Staat ist bisher eher gering.“
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In Lateinamerika würden die neuen religiösen Bewegungen als Ansporn gesehen. „Die Anziehungskraft der neuen Kirchen macht Schwächen in der katholischen Kirche sichtbar, etwa ihre männerzentrierte Ausrichtung“, sagt Müller. In einigen Ländern seien zwei Drittel der Mitglieder in charismatischen Gemeinden weiblich. Außerdem bedienten neue religiöse Bewegungen das Bedürfnis nach einer privaten Religiosität. In der katholischen Kirche dagegen spiele die Institution eine starke Rolle. „Wir müssen insgesamt sehr viel mehr von der Basis ausgehen und offen für die Pluralität von unten sein“, sagt Müller. Der Boom der neuen religiösen Bewegungen ist auf allen Kontinenten zu beobachten. Die Wahrnehmung des Phänomens unterscheidet sich aber je nach Region und Land. In Afrika sehen viele Katholiken die evangelikalen und charismatischen Gruppen kritisch. Dies gilt vor allem für Länder, in denen das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen angespannt ist, wie in Nigeria.
Neue Bewegungen werden in Afrika als Provokation gesehen
„Mit ihrem zum Teil sehr selbstbewussten Auftreten stellen sie weniger eine Bedrohung für die katholische Kirche dar als vielmehr für das friedliche Miteinander der Religionen“, sagt Müller. „Für die andere Seite stehen solche Gruppen schnell für das ganze Christentum.“ Die Folgen ihres provozierenden Verhaltens müssten dann alle Christen tragen. Trotz der Sorgen überwog bei den Konferenzteilnehmern die Überzeugung, dass die katholische Kirche grundsätzlich offen für den Dialog mit den neuen religiösen Bewegungen sein muss. „Wir können nicht den Dialog mit anderen Religionen fördern und gleichzeitig Christen ausgrenzen, die eine andere Frömmigkeit pflegen als wir“, sagt Müller.
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