Investoren gesucht

Liberia erholt sich nur langsam von den Folgen des 14-jährigen Bürgerkrieges, der das einst verhältnismäßig gut gestellte westafrikanische Land zu einem gescheiterten Staat gemacht hat. Eigene Einnahmen sind die Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Trotz reicher Rohstoffvorkommen zögern ausländische Konzerne jedoch, in Liberia zu investieren. Haupthindernis ist die schlechte Infrastruktur. Sie wird derzeit mit deutscher Beteiligung verbessert.
Borkar Brah ist ein Mann, der gern redet, aber wenig sagt. Um den Hals trägt er ein schweres Goldamulett und an den Füßen feste Schuhe. Sonst unterscheidet ihn wenig von den ausgemergelten Männern ringsum. Abseits des löchrigen Fahrwegs, nicht weit von Monrovia, der Hauptstadt Liberias, führt Borkar Brah auf einem schmalen Pfad ins tropische Dickicht. Auf einer Lichtung zeigt er auf einen Tümpel. Der ist halbhoch mit braunem Wasser gefüllt, denn noch ist Regenzeit. Aber wenn die im November vorbei ist, sagt Brah, „dann holen wir da täglich 75 bis 100 Gramm Gold heraus". 100 Gramm Gold - das bringt derzeit rund 3500 US-Dollar Erlös beim Zwischenhändler in der Stadt. Bei sechs Tagen Schufterei in der Woche wären das um die 85.000 US-Dollar im Monat. Eine gewaltige Summe dafür, dass Brah für die staatliche Schürflizenz gerade einmal 350 US-Dollar im Jahr bezahlt hat. Aber die 100 Gramm sind wohl mehr Wunschtraum als Realität. Tatsächlich waschen Brah und seine sechs, acht Mitschürfer aus dem nahen Dorf Karwah derzeit gerade einmal 1 bis 2 Gramm Goldstaub täglich aus den Unmengen mühsam abgegrabenen Steins und Drecks rund um den braunen Tümpel heraus.
 

Autor

Johannes Schradi

war bis Frühjahr 2013 Berlin-Korrespondent von „welt-sichten“.

Wie viel für Brahs Leute davon abfällt, bleibt im Ungefähren - üblich, heißt es, sei die Hälfte. Jedenfalls ist es genug, dass sie ihre Familien, oft acht bis zehn Personen, ernähren können, sagen die Goldgräber. Die Arbeit ist besser als eine schlecht bezahlte andere - oder gar keine. Und wie war es während des Bürgerkriegs? Da wurde der in den primitiven Hütten des nahen Dorfes in Form geschmolzene Glimmer „direkt hier abgeholt", sagt Borkar Brah - und schweigt dann. Von 1989 bis 2003 litt Liberia unter einem brutalen Bürgerkrieg. Präsident Charles Taylor und die mit ihm kollaborierenden Warlords und Rebellen finanzierten den Krieg mit Gold und so genannten Blutdiamanten. Einst eines der besser gestellten Länder Afrikas, verkam Liberia zum gescheiterten Staat, zu einem Land, in dem es nichts mehr gab: nichts zu essen, keinen Strom, keine intakten Brücken und Straßen, keinen Schulbetrieb, keine Gesundheitsversorgung, keine reguläre Wirtschaft. Die derzeitige Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf musste, aus ihrem Exil in den USA zurückgekehrt, 2005 bei Null beginnen, flankiert von UN-Blauhelmen und vollkommen angewiesen auf Hilfe von außen - auf internationale Entwicklungsgelder, Hilfsorganisationen und die Privatwirtschaft. „Liberia ist nicht arm, es wurde nur schlecht gemanagt", schlägt Richard Tolbert, Chef der Nationalen Investitionskommission, den Bogen von gestern zu heute. Fast beschwörend zählt er auf, was das Land neben Gold und Diamanten noch zu bieten hat: Eisenerz, Holz, Kautschuk, Palmöl, tropische Früchte und wahrscheinlich schon bald auch Erdöl. Es fehle nicht an Schätzen. Es fehle an Kapital, an Know-how, an Transportwegen, sagt Tolbert. Und genau dafür sorge man jetzt.

Tatsächlich spekulieren nicht nur die vielen kleinen Diamant- und Goldsucher wie Borkar Brah und seine Leute im Lehmdorf Karwah inzwischen wieder auf Gewinn. Geschürft, gegraben und geerntet wird mittlerweile auch wieder im großen Stil. Zwischen 2006 und 2009 sind die ausländischen Direktinvestitionen von 6 auf über 400 Millionen US-Dollar hochgeschnellt. Als leuchtendes Beispiel nennt Tolbert das Schreddern ausgelaugter Kautschukbäume zu Holzchips, die dann, weit weg, in Biomassekraftwerken verbrannt werden können. Zum Beispiel in Berlin. Allein die deutsche Tochterfirma des Energieriesen Vattenfall will binnen fünf Jahren eine Million Tonnen der Schnipsel abnehmen. Die Wiederaufforstung sei bei dem Geschäft inbegriffen, wie der oberste Investitionsbeauftragte der Regierung betont.

Die Zeiten scheinen vorbei, da in großem Stil und unter Zutun korrupter Eliten abgekarrt werden konnte, was das Land an Rohstoffen bietet. Wenn die von der internationalen Gemeinschaft für gute Regierungsführung gelobte und großzügig unterstützte Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf das Land auf die eigenen Beine stellen will, müssen eigene Einnahmen her: für den Bau von Straßen, Schulen, Krankenhäusern, für ein Mindestmaß an sozialer Wohlfahrt. Die Menschen wollen Verbesserungen sehen. Vor allem die Landbevölkerung ist bitterarm. Nur 15 Prozent der Beschäftigten sind angestellt, alle anderen arbeiten informell; weithin herrscht Subsistenzwirtschaft. Aber staatliche Handlungskraft zurück zu gewinnen und nicht dauerhaft am Tropf der Geber zu hängen, kann nur funktionieren, wenn es gelingt, Investoren anzulocken und sich über Konzessionen und Steuern von deren Profiten eine Scheibe abzuschneiden, so das Credo der Regierung.

In einem 12-Quadratmeter-Raum des Minenministeriums sitzt der Diamantenspezialist Jerôme P. vor einer Feinwaage und einem Computer. Stolz zeigt er auf dem Bildschirm das größte und teuerste hier jemals angelieferte Stück: einen weißlich schimmernden Rohdiamanten von sechs Zentimeter Durchmesser, 194 Gramm schwer, höchster Reinheitsgrad. Wert: 6,7 Millionen US-Dollar. Die meisten anderen Steine sind kleine und kleinste Funde in verschiedenen Farbnuancen und Reinheitsstufen. Jerôme hat Erfahrung; er erkenne, sagt er, wo sie herkommen. Meistens jedenfalls. Um die Aufhebung der UN-Sanktionen wegen illegalen Blutdiamanten-Handels zu erreichen, hat sich Liberia dem so genannten Kimberley-Prozess angeschlossen. Gehandelt und exportiert werden darf nur, was hier gefunden, von Staats wegen im Wert bestimmt, versteuert und zertifiziert wurde. Für die Registrierung der Diamanten sorgen dezentrale Meldestellen in der Nähe der Minen. Nicht sofort offen gelegte Funde können beschlagnahmt werden.

Verglichen mit den anderen Bodenschätzen sind „saubere" Diamanten für den Staat allerdings keine lukrative Einnahmequelle. Mit nur drei Prozent Abschöpfung ist das Aufkommen zu gering. Zwar ist an eine Anhebung auf sieben Prozent gedacht. Doch mit den großen Mengen anderer Rohstoffe ließen sich weit höhere Konzessionserlöse, Steuereinnahmen und Abgaben erzielen - immer vorausgesetzt, es gibt Investoren, die diese Schätze heben und vermarkten wollen.

Auf halbem Weg zwischen Monrovia und der Hafenstadt Buchanan ist eine Verkehrszählungs-Stelle eingerichtet. Sieben Lastwagen, 13 verbeulte und überladene Taxis, ebenso viele Taxi-Motorräder, fünf Privatwagen und ein paar andere Vehikel haben an diesem Morgen binnen einer Stunde den Posten in Richtung Buchanan passiert. Wie die meisten anderen Straßen des Landes ist auch diese einzige Verbindung in die wichtige Hafenstadt über weite Strecken vom Regen aufgeweicht, zerfurcht und von tiefen Trichtern übersät. Die Fahrt ist lang und quälend. Mit Geld aus einem Weltbank-Fonds, in den auch die Bundesregierung einzahlt, wird sie derzeit von einem chinesischen Bautrupp asphaltiert, die Aufsicht führt ein Ingenieur aus Südafrika. Ein liberianischer Subunternehmer darf mitbauen, um zu lernen, wie das geht.

Dass es an ordentlichen Verkehrswegen fehlt, gilt als ein Haupthemmnis für eine bessere Entwicklung des Landes. Sie zu schaffen ist ein wichtiges Ziel der liberianischen Armutsbekämpfungsstrategie (PRS) mit ihren vier Säulen Sicherheit, Wirtschaftswachstum, gute Regierungsführung und Rechtstaatlichkeit sowie Infrastruktur. Das Land hat das Programm auch aufgelegt, um in den Genuss internationaler Entschuldung zu kommen. Einer der Hauptgläubiger war Deutschland. Mit zusätzlichem Geld ist die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) vom Entwicklungsministerium (BMZ) und dem Auswärtigen Amt damit beauftragt, die neuen Aufbauspielräume, die durch den Schuldenerlass entstehen, zu unterstützen: durch Arbeit mit Flüchtlingen, durch Hilfe bei der Polizei- und Richterausbildung, durch Hinwirken auf transparente Rohstoff-Geschäfte und eben durch Beratung im Straßenbau.

Wenn der Verkehrswege-Masterplan verwirklicht ist, den die GTZ maßgeblich mit erstellt, wird vieles leichter werden, lautet das Kalkül. Beladen mit Kautschuk, Tropenholz, Holzchips und anderen Gütern sollen schwere Laster müheloser durchs Land und zu den Häfen rollen können. Und nicht nur sie. Die Regierung hofft auf einen „trickle-down-Effekt", auf einen von oben angestoßenen Mobilitätsaufschwung, der einen allgemeinen Wirtschaftsaufschwung nach sich zieht und unter dem Strich allen zugute kommt.

Im trostlosen Hafengelände von Buchanan türmen sich Holzchips-Berge und Schottersteine. Einsam liegt ein Frachter am Kai und löscht Eisenbahn-Gerätschaften. Schotter und Gerät sind zum Herrichten des Hafens und der Eisenbahnlinie bestimmt, über die der holländisch-luxemburgische Stahlkonzern Arcelor Mittal das Eisenerz abtransportieren will, das er 250 Kilometer entfernt im Landesinnern ab 2011 abbauen und nach Europa verschiffen will. Die internationalen Bergbau- und Stahlkonzerne geben sich in Monrovia die Klinke in die Hand; auch die Chinesen sind, wie fast überall in Afrika, mit von der Partie. Es geht um Investitionen in Milliardenhöhe. Zwei weitere Eisenbahnlinien sollen weitere Lagerstätten erschließen. Die liberianische Regierung hofft auf Zehntausende neue Arbeitsplätze. Wer Abbaukonzessionen erhalten will, muss auch Sozialleistungen erbringen, von Ausbildungsangeboten bis zu Gesundheitsstützpunkten.

Lässt sich der „trickle-down-Effekt" verwirklichen? Arcelor Mittal sieht sich dem Kodex zu sozialer Unternehmerverantwortung verpflichtet. Freiwillig sollen ordentliche Arbeitsbedingungen geboten, die Umwelt geschont und Sozialeinrichtungen unterstützt werden. GTZ-Landeschef Axel Fastenau hofft darauf, dass solche Beispiele Schule machen und lokale Unternehmen davon lernen. Doch nicht alle teilen diese Zuversicht. Liberianische nichtstaatliche Organisationen beklagen, der Wiederaufbau des Landes erfolge zu sehr „von oben herab". Die Regierung, deren Mitglieder Johnson-Sirleaf zum Teil aus den USA mitgebracht hat, nehme die Menschen nicht mit und agiere an ihnen vorbei. Die Opposition argwöhnt, die neue Elite sei nur mit einem Fuß hier. Ein Mitarbeiter der deutschen Trade & Invest Agentur, der Ausschau hält, wo und wie sich deutsche Unternehmen hier engagieren könnten, hat beobachtet: „Man ist willkommen, aber man muss alles selbst machen." Es fehle an Marktdaten ebenso wie an Anlaufstellen für kleinere Investoren. Was wiederum mit den rudimentären Verwaltungsstrukturen und dem Mangel an Fachleuten zusammenhängt.

„Hier muss alles schnell, schnell gehen", sagt Edsel E. Smith, der ins noch immer schwer kriegsgeschädigte Monrovia zurückgekehrt ist, um das Ministerium für öffentliche Arbeiten zu beraten. „Ich bin froh, dass ich nur für Technik und nicht für Politik zuständig bin", sagt der 68-Jährige, der 30 Jahre lang als Bauingenieur in München gearbeitet hat. Alle wissen: Wie es in Liberia weitergeht, hängt auch davon ab, wie die Wahlen im kommenden Jahr ausgehen werden. Präsidentin Johnson-Sirleaf will noch einmal antreten, sie wird dann 72 Jahre alt sein. Aber antreten will auch der ehemalige Warlord Prince Johnson. Und Rückhalt in Teilen der Bevölkerung hätte selbst Charles Taylor noch, glaubt ein Bürgerkriegszeuge, der uns in Monrovia Einschusslöcher aus dieser Zeit zeigt. Noch steht der Ex-Präsident in Den Haag vor einem UN-Sondergericht: wegen Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten und schwersten Gewaltverbrechen in Sierra Leone. Ob er inhaftiert bleibt oder womöglich zurückkehrt, ist ungewiss.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2010: Staatsaufbau - Alles nur Fassade?
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