Hunger: die Angst, zu früh zu helfen

Rob Bailey
Famine Early Warning and Early Action:
The Cost of Delay
Chatham House, Juli 2012, 34 Seiten, www.chathamhouse.org 

Warum wird den Opfern von Dürren nicht geholfen, bevor Tausende verhungert sind? Weil unangemessene Entscheidungswege in Hilfswerken sowie Fehlanreize und politische Kalküle bei den Geberregierungen bewirken, dass Frühwarnungen ignoriert werden, erklärt ein neues Papier von Chatham House. Seit den Hungersnöten der 1980er Jahre am Horn von Afrika und im Sahel haben die UN und die Geberländer dort ein Frühwarnsystem aufgebaut, das Vorzeichen solcher Katastrophen registriert. Dennoch setzt laut Rob Bailey die internationale Hilfe dort noch immer zu spät ein. Die jüngste Notlage im Sahel bestätigt diesen Befund.

Doch warum hören die Helfer nicht auf ihr eigenes Frühwarnsystem? Ein Grund sind laut Bailey unklare Entscheidungswege in Hilfsorganisationen: Meist entscheidet in NGOs die Zentrale und es ist nicht klar, wer wen auf welchem Weg alarmieren kann und für welche Entscheidungsschritte verantwortlich ist. Wichtiger sei aber, dass Bürokraten, die Steuergeld für frühe Hilfe bereitstellen, ihrer Karriere schaden, wenn sich das dann als unnötige Ausgabe erweist. Zudem hilft es wenig, wenn in einer Hungersnot ein Geber allein vorprescht.

Der Anreiz, erst spät Geld zu geben, ist für die Finanzverwalter also groß. Und sie werden von den Kalkülen der Politiker beeinflusst – zum Beispiel der Vorgabe, Hilfsgeld zu sparen, oder vom Krieg gegen den Terror. Dieser, so zeigt Bailey, hat 2003 die Reaktion auf die Not in Äthiopien beschleunigt, denn das Land ist ein Verbündeter in diesem Kampf. Dagegen hat er 2011 die Hilfe für die Hungernden in Somalia verzögert, weil die Geber fürchteten, die islamische Al-Shabaab-Miliz werde von der Hilfe profitieren.

Nach dieser Analyse wirken Baileys Empfehlungen eher schwach: Zum einen sollten NGOs ihre Appelle so gestalten, dass sie die Entscheidungszwänge und Fragen der Geber berücksichtigen – zum Beispiel in frühen Phasen Schritte empfehlen, die auch sinnvoll sind, wenn die befürchtete Notlage nicht eintritt. Das mag im Einzelfall kleine Erfolge bringen, wird aber das Grundproblem kaum lindern. Zum anderen, so Bailey, sollten die Geber, die NGOs und die betroffenen Länder einen kontinuierlichen Dialog führen, Vertrauen aufbauen und auf einen Konsens hinwirken. Genau dazu haben sie sich freilich in der Entwicklungshilfe verpflichtet, ohne das einzuhalten. Wie ein Dialog sie dazu bringen soll, in der Hungerhilfe politische Kalküle hintanzustellen und sich mehr abzustimmen – das erklärt Bailey nicht. (bl)

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erschienen in Ausgabe 9 / 2012: Südliches Afrika: Wohlstand nur für wenige
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