Zwiebelkrieg und Tomatenblockade

Eine 3300 Kilometer lange Grenze trennt die beiden Erzfeinde Indien und Pakistan. Darüber führen nur zwei passierbare Straßen; eine davon verläuft über den Grenzübergang Wagah. Hier werden jeden Tag Tonnen von Obst und Gemüse getauscht – Ware gegen Ware. Denn indische und pakistanische Banken arbeiten nicht zusammen. Geldwechsel ist illegal.

Die Grenze öffnet kurz nach zehn. Da stauen sich die bunten Laster schon kilometerweit auf der staubigen Landstraße außerhalb der nordindischen Stadt Amritsar. Manche Fahrer warten seit Stunden, denn an der Wagah-Grenze, die die Erzfeinde Indien und Pakistan voneinander trennt, geht nichts wirklich schnell. Auch auf der pakistanischen Seite des Übergangs erwacht langsam das Leben. Phantasievoll bemalte Trucks aus fernen Orten wie Quetta in Belutschistan rund 700 Kilometer westlich von hier oder aus Peshawar kurz vor der afghanischen Grenze warten mit ihrer Fracht.
 

Autorin

Agnes Tandler

ist freie Journalistin in Neu-Delhi und schreibt unter anderem für den Evangelischen Pressedienst (epd).

Der Grenzübergang von Wagah liegt etwa 30 Kilometer von Amritsar und knapp 25 Kilometer vom ostpakistanischen Lahore entfernt. Er ist eine von nur zwei passierbaren Straßen zwischen den beiden Ländern. Der zweite Übergang über die Aman Setu-Brücke in Kaschmir ist weit weniger frequentiert. Beide Nationen haben in den über 63 Jahren ihrer Unabhängigkeit bereits drei Kriege gegeneinander geführt. Der Grenzverkehr über die „Berliner Mauer von Asien“ ist so etwas wie der Gradmesser für das Verhältnis der beiden zerstrittenen Atommächte.

Das Misstrauen auf beiden Seiten ist groß und bedingt besondere Abläufe. Hunderte von Lastenträgern sind jeden Tag diesseits und jenseits der Grenze zur Stelle, um Waren per Hand auf- und abzuladen. Denn die LKWs aus Pakistan und aus Indien dürfen den Grenzstreifen nicht überqueren. Pakistanische Arbeiter mit dunkelblauem Kittelkleid und Hose und indische Kulis mit orangen Turbanen tragen die Kisten auf ihren Köpfen zwischen den Lastern hin und her. Das bunte Treiben auf dem etwa hundert Meter langen Grenzstreifen wird gut überwacht. Zuviel persönlichen Austausch zwischen den indischen und pakistanischen Helfern soll es nicht geben.

Der indisch-pakistanische Handel hat wirtschaftlich gesehen keine große Bedeutung. Trotz der Größe der beiden Länder beläuft sich das Handelsvolumen (Export und Import zusammengerechnet) nur auf etwa zwei Milliarden US-Dollar im Jahr. Der Warenverkehr mit Pakistan macht weniger als 0,5 Prozent des gesamten indischen Handels aus, und Indiens Anteil am gesamten pakistanischen Handelsaufkommen liegt bei etwa einem Prozent. Vor der Unabhängigkeit der beiden Länder 1947 waren die beiden Regionen wirtschaftlich noch sehr eng verflochten, und der Warenaustausch zwischen dem heutigen Indien und Pakistan lag bei etwa 70 Prozent ihres Handels.

Heute ist der Handel zwischen den beiden Ländern stark reglementiert und streng gesehen ein reiner Tauschhandel. Die rund tausend Güter, die überhaupt gehandelt werden dürfen, sind extra gelistet. Vor allem Gemüse, Trockenfrüchte, Safran und Tamarinden überqueren die Grenze. Da es zwischen den beiden Ländern keinen Bankenverkehr gibt – Geld kann nur illegal gewechselt werden –, müssen die Güter getauscht werden. Auch Steuern werden, da es kein Abkommen dazu gibt, nicht erhoben. „Es ist kein wirklich internationaler Handel“, räumt ein hoher Beamter im Wirtschaftsministerium in Neu-Delhi ein. Beide Länder fürchten, dass eine Formalisierung des Handels einer de facto-Anerkennung der Grenze gleichkommen könnte. Denn immer noch streiten Indien und Pakistan über den Grenzverlauf im Kaschmir-Tal und im Rann von Katch, einem weitgehend unbewohnten Salzwasser-Sumpfgebiet am Arabischen Meer.

Weil die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan kompliziert und schwierig sind, wird alles zum Politikum – selbst harmloses Gemüse. Im Moment wird der so genannte Zwiebel-Tomaten-Krieg stellvertretend für einen militärischen Schlagabtausch an der Wagah-Grenze ausgetragen. Zwiebel und Tomaten sind unentbehrlich in der indisch-pakistanischen Küche. Ob in fetttriefenden Zwiebelpfannkuchen oder scharfer Tomatensuppe sowie in den beliebten Currys: Die beiden Zutaten sind nicht wegzudenken vom Speiseplan auf dem Subkontinent. Und wie es das Schicksal will, sind in Indien derzeit die Zwiebeln rar, während in Pakistan die Tomate Mangelware ist.

Ein ungewöhnlich heftiger Monsun-Regen ließ in Indien im vergangenen Jahr die Zwiebel-Ernte mager ausfallen. Der Preis für die pikante Knolle stieg auf den Märkten in Neu-Delhi auf 60 bis 70 indische Rupien (rund 1,20 Euro) pro Kilo – eine saftige Teuerung verglichen mit den gewohnten 15 bis 20 Rupien. Dann kam im Dezember 2010 ausgerechnet der Erzfeind Pakistan zur Hilfe: In einem ungewöhnlichen Schritt erklärte sich das Nachbarland bereit, für Nachschub zu sorgen. Die indische Zeitung „The Hindu“ feierte die ersten 13 Laster, beladen mit 5 bis 15 Tonnen Zwiebeln aus Pakistan. Diese Form der „Zwiebeldiplomatie“ kam überraschend, denn politisch herrschte zwischen den beiden Erzfeinden gerade eine Eiszeit.

Bis zu 500 Tonnen der Knollenfrucht passierten im Dezember täglich die Grenze zwischen Lahore und Amritsar. Doch Anfang Januar schritt die pakistanische Regierung ein und erließ einen Exportstopp für Zwiebeln nach Indien auf dem Landweg. Die offizielle Begründung für das Ausfuhrverbot lautete: „Wenn wir dies nicht getan hätten, wäre der Preis für Zwiebeln in Pakistan über die 100 Rupien-Marke geklettert.“ Einen Tag später kam der Vergeltungsschlag von der indischen Seite: Mehr als 50 Händler in Amritsar erklärten, sie würden ab sofort weder Tomaten noch Chilischoten über die Grenze schicken. Als Resultat des Gemüsekrieges blieben 150 Laster mit ihrer roten oder scharfen Fracht an der Grenze hängen.

Die Kaufleute auf beiden Seiten pflegen gute Beziehungen

Ähnlich wie die pakistanische Seite die Gefahr einer Zwiebelkrise anführte, war die offizielle indische Lesart, dass in Indien die Tomaten knapp würden, wenn der Export nach Pakistan nicht gestoppt würde. Händler gaben hingegen hinter vorgehaltener Hand zu, dass der Tomaten-Zwiebel-Krieg lächerlich und schlecht für beide Seiten sei. Der Gemüsehandel zwischen Indien und Pakistan nütze allen Beteiligten. Die Tomaten-Blockade folge einer „Auge um Auge, Zahn um Zahn“-Mentalität, klagten indische Händler in Amritsar. Und sie machten klar, dass sich der kalte Gemüse-Krieg nicht gegen die Kollegen auf der anderen Seite, sondern gegen das Vorgehen der pakistanischen Regierung richte. Denn die Kaufleute auf beiden Seiten der Grenze pflegen gute Beziehungen.

Die Händler in Lahore erlitten wegen des Zwiebel-Exportstopps hohe Verluste, erklärt der Präsident des indischen Einzelhandels-Exporteurverbandes, Anil Mehra. Die pakistanischen Händler beschuldigten ihre Regierung, sie zu benachteiligen, fügt er hinzu. Denn Pakistan führe weiter Zwiebeln von der Hafenstadt Karatschi über den Seeweg nach Sri Lanka, Malaysia, Indonesien und in die Vereinigten Arabischen Emirate aus. Vor der Tomaten-Blockade kamen jeden Tag fast hundert Laster mit dem Gemüse an die Wagah-Grenze. Nun seien es nur noch um die 25, sagt ein indischer Zollbeamter.

Der Gemüsestreit könnte sich weiter verschärfen: Das ginge besonders zu Lasten von Pakistan, denn für das islamische Land ist Indien eine der Hauptexportquelle für die Pflanzenkost. Tomaten, grüne Chilischoten, Sojabohnen, Paprika, Kartoffeln und Ingwer werden hauptsächlich von Indien nach Pakistan verkauft. Indien hingegen geht es vor allem um die Zwiebeln. Berichten zufolge sind die Preise für Tomaten auf den pakistanischen Basaren schon von zwischen 25 und 30 (25 Eurocent) auf 80 bis 100 Rupien (80 Eurocent) pro Kilo gestiegen. Und es gibt Befürchtungen, dass sich dieser Preis noch verdoppeln könnte, wenn Indien bei seinem Exportverbot bleibt.

Verbote aller Art mögen zwar den offiziellen Warenaustausch zwischen Pakistan und Indien einschränken. Davon unberührt blüht der informelle Handel zwischen den Nachbarländern, der laut Experten weit bedeutsamer ist als der Wert der Waren, die täglich über die Wagah-Grenze kommen. Schätzungen über die Größenordnung des informellen Handels liegen zwischen 0,5 und 3 Milliarden US-Dollar. Genau weiß es keiner. Abgewickelt wird er zum Teil über Drittstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Waren gehen dann per Schiff von Karatschi nach Dubai und von dort aus nach Indien. Doch auch Schmugglern bietet die rund 3300 Kilometer lange Grenze zwischen Indien und Pakistan ein großes Betätigungsfeld.

Auch an der Wagah-Grenze werden unter der Hand Geschäfte gemacht. Entgegen der herrschenden Doktrin werden die Grenzer schon einmal zu Botschaftern des guten Willens. „Wir sagen den indischen Kollegen, was wir brauchen, und sie sagen uns, was sie möchten“, erzählt ein pakistanischer Beamter, der nicht genannt werden will, beim Tee. Sporttaschen gefüllt mit „Black Dog“, einem in Indien sehr beliebten Whisky, der angeblich aus Schottland stammt, sollen hier nach Feierabend die Grenze passieren. Laut Gesetz dürfen in PakisPakistan nur Christen und Hindus Alkohol trinken. Doch weil auch manche Muslime Wein, Bier und hochprozentige Spirituosen schätzen, ist Alkoholschmuggel in Pakistan ein lukratives Geschäft.

Gewinnträchtig ist auch der illegale Transport von Raubkopien der neuesten Bollywood-Blockbuster: Indische Filme dürfen in Pakistan weder gezeigt noch verkauft werden, dennoch sind sie weit verbreitet und erfreuen sich großer Beliebtheit. In die umgekehrte Richtung – von Pakistan nach Indien – sollen vor allem Kleider, Medikamente und Kosmetika unterwegs sein. Doch genau sagen will es niemand, denn an der Wagah-Grenze kann alles ganz schnell eine hohe politische Sprengkraft entwickeln. Der Zwiebel-Tomaten-Krieg ist nur das vorerst letzte Scharmützel im kleinen Grenzverkehr.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2011: Welthandel: Auf dem Rücken der Armen
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