Die Diskussion über eine Wirtschaft, die weniger oder gar nicht mehr wächst, ist schon fast ein Modethema. Und doch bleibt es merkwürdig realitätsfern. Wenn es hart auf hart kommt und die Wirtschaft lahmt, werden alle nervös und Wachstum scheint bis auf Weiteres die einzige Lösung zu sein. Woran liegt das?
Studenten der Universität Freiburg haben den Stand der Diskussion über eine „Wachstumswende“ in einem Aufsatzband festgehalten. Unter den Rubriken „Diagnose“, „Therapieansätze“ und „Change Maker im Gespräch“ versammeln sie Texte von und Interviews mit unterschiedlichen Autoren, die eine hervorragende und facettenreiche Einführung in das Thema bieten. Schwerpunkt bei der Diagnose ist der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und den Funktionsbedingungen der Geldwirtschaft.
Liegt die Ursache des Wachstumszwangs darin, dass die Sozialsysteme seit den 1950er Jahren auf einer Wachstumshoffnung aufbauen – so die Position der Ehrenvorsitzenden des Bundes für Umwelt und Naturschutz, Angelika Zahrnt? Oder sind die grundlegenden Mechanismen der Kreditfinanzierung verantwortlich, wie der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger erklärt: „Bei Licht betrachtet ist die Wachstumsspirale der Wirtschaft ein Schneeballsystem, das darauf beruht, dass die Gewinnauszahlungen an frühere Investoren aus den Einzahlungen neuer Investoren gespeist werden. Man zahlt alte Schulden mit neuen Schulden.“ Und das gilt laut Binswanger nicht nur für Staaten, wie man gegenwärtig glauben könnte, sondern für jedes Unternehmen in der kapitalgetriebenen Wirtschaft.
Die Herausgeber vertreten die Position, dass weiteres wirtschaftliches Wachstum angesichts ökologischer, sozialer und ökonomischer Krisen „weder eine zukunftsfähige Option, noch eine anstrebenswerte Entwicklungsrichtung darstellt“. Ansätze, die vornehmlich auf eine ökologische Modernisierung setzen und versprechen, bei größerer Rohstoffeffizienz könne es ökologisch unbedenkliches Wirtschaftswachstum geben, kommen nur am Rande vor.
Der Überblick über die Diskussion zur „Wachstumswende“ offenbart auch, wo es noch hakt: Wie können eine Verringerung des Wachstums und soziale Gerechtigkeit in ein Gleichgewicht gebracht werden? Wenn weniger produziert wird, kann die Verteilungsfrage nicht mehr mit „wachsendem Wohlstand für alle“ beantwortet werden. Der Gewerkschaftsökonom Norbert Reuter versucht eine Antwort: mit einer Reduzierung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit in Deutschland von aktuell 26,7 Stunden auf 23,6 Stunden könnten alle Erwerbstätigen und Arbeitslosen eine Beschäftigung finden, ohne dass es zusätzliches Wirtschaftswachstum brauche. Allerdings seien zugleich umfangreiche Qualifizierungsprogramme nötig. Und was Reuter als offenes Problem sieht: Es wäre wohl auch ein Lohnausgleich nötig, zumindest für die niedrigen Einkommen. Solch ein Ausgleich würde dann wieder die Reduzierung des Wachstums unterlaufen.
Es bleibt also die Frage, ob eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes und damit die Stärkung des Massenkonsums nicht erst einmal zu mehr Wachstum führt. Während Wachstum bisher als Ersatzdroge für Gerechtigkeit fungiert, könnte mehr Gerechtigkeit paradoxerweise zu noch mehr Wachstum führen. Hier zeigt die Zusammenstellung der Texte, an welchen Stellen noch Klärungsbedarf herrscht, damit aus den vielfältigen Ansätzen eine starke politische Kraft wird. Christoph Fleischmann
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