Was haben der Diktator Pol Pot und der klassische kambodschanische Tanz miteinander zu tun? Mehr, als man denkt. Das zeigt der reizvolle Dokumentarfilm von Enrique Sánchez Lansch, eine spannende Erkundungsreise in die jüngere Vergangenheit Kambodschas.
„Ich gebe nie auf. Auch wenn ich für diese Arbeit sterbe. Nichts kann mich aufhalten, wenn ich die Herzen gewinnen möchte.“ Die Worte der berühmten Choreografin Chea Samy kurz vor ihrem Lebensende 1994 zeugen von großem Selbstbewusstsein und enormem Durchhaltewillen.
Als zentrale Figur führt Chea gleichsam durch den ambitionierten Dokumentarfilm, der einen Bogen zwischen Zeit- und Kulturgeschichte Kambodschas schlägt. Er rekapituliert die Gräuel der Diktatur unter dem Führer der Roten Khmer, Pol Pot, von 1975 bis 1979 und führt uns die Spätfolgen für die Überlebenden und nachfolgende Generationen vor Augen. Zugleich schildert er die Bemühungen heutiger Choreografen und Lehrer, den traditionellen kambodschanischen Tanz zu retten und wiederzubeleben, der seit 2008 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört.
Die Startänzerin und Tanzlehrerin schuftete auf den Feldern
Der Ideologie der Roten Khmer und ihres Führers sind schätzungsweise zwei Millionen Kambodschaner zum Opfer gefallen, ein Viertel der damaligen Bevölkerung. Pol Pot verfolgte besonders Intellektuelle und Kulturschaffende. „Am Ende der Diktatur war der weltbekannte klassische kambodschanische Tanz beinahe vollständig ausgerottet“, heißt es in einer Schrifttafel zu Beginn des Films.
Dass es ihn heute noch gibt und wir Tänzerinnen und Tänzer in faszinierenden Bewegungen sehen können, ist in erster Linie Chea zu verdanken. Sie war jahrelang Startänzerin und Tanzlehrerin am königlichen Hof in Phnom Penh. Als die Roten Khmer die Macht übernehmen, wird sie wie Millionen ihrer Landsleute aufs Land verbannt, um auf den Feldern zu schuften. Erst durch ein Bild an einer Wand in einem Bauernhof erfährt die Zwangsarbeiterin, wie Pol Pot aussieht. Und sie erkennt in ihm Saloth Sar, jenen kleinen Bruder ihres Mannes, den sie als Pflegemutter am Königspalast liebevoll aufgezogen und auf die besten Schulen geschickt hat. Umso unverständlicher ist für sie, wie aus diesem Jungen, der mit dem klassischen Tanz sehr vertraut war, ein solcher Kulturhasser werden konnte.
Alle anderen guten Lehrer waren verschwunden oder gestorben
Chea überlebt die Schrecken der Diktatur, aber mit steifen Händen. Nach der Vertreibung Pol Pots durch das vietnamesische Militär und dem Ende seines „Steinzeitkommunismus“ 1979 wirkt sie maßgeblich daran mit, 1981 die Universität der darstellenden Künste wiederzueröffnen. „Alle guten Lehrer und Künstler sind verschwunden oder gestorben. Ich bin die einzige, die alles weitergeben kann“, erklärt Chea im Rückblick.
In den folgenden 15 Jahren gibt sie ihr Wissen um den klassischen Tanz an Hunderte oft traumatisierte Schülerinnen weiter. Das ist umso wichtiger, als für diese Tanzform keine Lehrbücher existieren. Seit Jahrhunderten werden die diffizilen Bewegungsformen mündlich von einer Generation zur nächsten überliefert. Eine Schülerin von Chea ist Sophiline Cheam Shapiro, die sich choreografisch mit der Geschichte von Chea und Saloth Sar alias Pol Pot auseinandersetzt. Die verschiedenen Proben und Szenen daraus bilden den Kern des Films.
Der erfahrene Regisseur Enrique Sánchez Lansch („Rhythm is it!“) kombiniert die Erinnerungen von Sophiline und ihres Kollegen Prumsodun Ok sowie Interviews mit weiteren Zeitzeugen mit historischen Filmausschnitten, darunter auch Propagandaaufnahmen der Roten Khmer. Bei den Recherchen hat er teilweise unveröffentlichte Bildquellen zutage gefördert, darunter ein Interview, das ein gut gelaunter Pol Pot 1977 dem jugoslawischen Fernsehen gegeben hat. Die Brutalität der dokumentarischen Bildfolgen des Völkermords steht dabei in starkem Kontrast zu der Eleganz und Poesie der Tänzerinnen und Tänzer, vor allem wenn sie sich vor den imposanten Ruinen von Angkor Wat in Szene setzen. Ihre Lebensfreude und Energie bleiben am Ende im Gedächtnis.
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