In seinem Buch beleuchtet der Reporter Sascha Lübbe die Schattenwelt des Niedriglohnsektors in Deutschland. Mit eindringlichen Reportagen und Hintergrundinformationen macht er deutlich, dass die gesetzlichen Verordnungen nicht ausreichen, um Ausbeutung zu verhindern.
1985 erregte Günter Wallraff mit dem Buch „Ganz unten“ Aufsehen. Er schlüpfte in die Rolle des Türken Ali, um unmenschliche Arbeitsbedingungen in deutschen Unternehmen aufzudecken. 39 Jahre später erscheint abermals ein Buch mit einem ähnlichen Titel: „Ganz unten im System“. Und wieder geht es um die Ausbeutung von Arbeitsmigranten.
Der Reporter Sascha Lübbe hat zum Niedriglohnsektor recherchiert, der sich auf der untersten Stufe der Pyramide der deutschen Arbeitswelt etabliert hat – eine Schattenwelt, in der die Grenze zwischen Legalität und Illegalität verschwimmt. Seine Reise führt in das Innere eines Systems, in dem große Unternehmen Aufgaben an Subunternehmen weiterreichen.
Zwielichtige Subunternehmen
Beispiel Fleischindustrie: Dort ist es zwar inzwischen gesetzlich verboten, mit der Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung von Fleischsubunternehmen zu beauftragen. Doch nach wie vor rekrutieren große Fleischproduzenten Arbeitskräfte im Ausland – wenn es um Reinigungs- oder auch Buchhaltungsdienste geht auch über Subunternehmen.
Dejan aus Kroatien zum Beispiel, der wie die übrigen Interviewpartner seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, erzählt, dass er nachts offiziell für 13 Euro pro Stunde auf einem Schlachthof Maschinen reinigt, das Geld aber nie in voller Höhe bekommt. Das Subunternehmen, das ihn und seine Kollegen beschäftigt, rechne einfach nicht alle Stunden an.
Auch Fabiu, der aus einer der ärmsten Regionen Rumäniens stammt, zählt zu den „Unsichtbaren“, wie der Autor sie nennt. Die demokratische Wende von 1989 und vor allem die darauffolgende wirtschaftliche Rezession warf Fabiu und seine Familie aus der Bahn. Lange schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch, bis er nach der Finanzkrise gar keine Arbeit mehr fand und nach Deutschland ging. Heute arbeitet er als Maurer auf deutschen Baustellen für verschiedene Firmen und auch Subunternehmen, teilweise ohne Krankenversicherung und zuletzt ganz ohne Vertrag.
Ausbeutung in der Transportbranche
Die meisten, aber nicht alle der von Lübbe Porträtierten kommen aus osteuropäischen EU-Ländern. Da ist zum Beispiel Samim, der einst in Usbekistan Ingenieurwesen studierte, dann 22 Jahre in Russland als Klempner arbeitete und nun für ein polnisches Fuhrunternehmen als Fahrer tätig ist. Er lebt quasi auf der Autobahn. Die Lkw auf deutschen Straßen gehören mehrheitlich polnischen Speditionen. Deren Auftraggeber sind internationale Versand-, Möbel- oder Autohändler. Osteuropäische Fahrer sind deutlich billiger als deutsche. Die Verlagerung der Auftraggeber nach Osten begann mit der EU-Osterweiterung 2004, als immer mehr Firmen aus Polen, dem Baltikum, dann auch aus Rumänien und Bulgarien auf den Markt strebten. Inzwischen rekrutieren die Unternehmen ihre Fahrer nicht mehr nur in Zentralasien, sondern sogar in Nepal, Sri Lanka, Indien und den Philippinen – weil die Löhne dort noch niedriger sind. Dabei werden Standards systematisch unterlaufen und Gesetze gebrochen.
Das Lieferkettengesetz in Deutschland und EU-Verordnungen haben, wie Lübbe berichtet, an den Missständen bislang wenig geändert. Zwar habe es Streiks von Lkw-Fahrern gegeben, die zum Teil erfolgreich waren, und es gibt Organisationen und Initiativen, die sich gegen die Ausbeutung derer „ganz unten im System“ engagieren und die er zu Wort kommen lässt. Doch die Lage vieler ausländischer Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland ist nach wie vor prekär. Dem Buch mit seinen eindringlichen Reportagen und zahlreichen Hintergrundinformationen ist zu wünschen, dass es die Gesellschaft ähnlich aufrüttelt wie damals das von Günter Wallraff.
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