Gewaltherrschaft und Überlebenssuche

Tierno Monénembo: Indigoblau. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2024, 270 Seiten, 25 Euro

Die Protagonistinnen in Tierno Monénembos Roman über die Diktatur in Guinea verstören durch ihre erschütternden Biografien und beeindrucken durch ihren starken Überlebenswillen.

Der Roman beginnt in einer Nachbarschaft in Paris, wo die junge Véronique (alias Atou) mühsam einen schwerbehinderten Mann im Rollstuhl über die Gehwege schiebt. Sie kommt aus Guinea und wirkt wie eine aufopfernde Pflegerin, die schlecht bezahlt Care-Arbeit leistet. Wie falsch dieser Eindruck ist, wird im Lauf der Geschichte in vielen Rückblenden deutlich, denn sie spielt in mehreren Zeitebenen. Eines Tages wird Véronique von der zweiten Protagonistin angesprochen, die sich Madame Corres nennt. Sie hört zufällig, wie Véronique in den Sprachen Guineas telefoniert, wo sie selbst einige Jahre als junge Ehefrau und Mutter lebte. Aus politischen Gründen musste sie das westafrikanische Land unter der Gewaltherrschaft von Präsident Ahmed Sékou Touré verlassen, doch die genauen Umstände gibt sie erst viel später preis.

Mit diesem ersten Mosaikstein in der facettenreichen und in Dialogform verfassten Erzählung lässt der Autor seine Leserinnen und Leser zunächst rätseln, wer diese Frauen eigentlich sind. In der Folge entfaltet sich ein komplexes Gesamtbild, das die frühere Kolonialmacht Frankreich und deren einstige Kolonie Guinea vereint.

Eine abgründige Schicht aus mörderischer Gewalt

Denn unter dem dünnen Firnis des Alltags in Paris liegt eine abgründige Schicht aus mörderischer Gewalt, die in Westafrika und auch noch mitten in Paris Opfer fordert. Deutlich wird das nach und nach aus der Sicht der Ich-Erzählerin Véronique. Zwar trifft sie sich immer wieder mit Madame Corres, aber sie fühlt sich auch von ihr bedrängt – regelrecht ausspioniert.

Vermutlich spielt Autobiografisches des preisgekrönten Autors hier hinein, denn Tierno Monénembo, der eigentlich Tierno Saïdou Diallo heißt und promovierter Biochemiker ist, musste selbst aus politischen Gründen aus seiner Heimat fliehen. Über den Senegal und die Elfenbeinküste kam er 1973 nach Frankreich, wo er seit Jahrzehnten lebt und arbeitet. Das Beäugen und Ausspionieren unter Geflohenen aus diktatorischen Regimen in früheren Kolonialmetropolen, in diesem Fall in Paris, ist keine Seltenheit, und er kennt es vermutlich aus eigener Erfahrung. 

So überrascht es nicht, dass beide Protagonistinnen mehrere Namen haben, die sie situationsspezifisch nutzen. Einer der Familiennamen von Madame Corres führt bis in die französische Kolonialzeit nach Ostasien, im Fall von Véronique (Atou) nach Westafrika in die jahrzehntelange Terrorherrschaft unter Touré, der bis zu seinem Tod 1984 von anderen Staatschefs auf dem Kontinent als einer der ersten Befreier von der Kolonialmacht Frankreich verehrt wurde.

Vergewaltigt vom Stiefvater, einem Polizeichef

In ihrer Heimat bringt Atou einen Polizeichef um, der sie vergewaltigt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt – sie ist damals fünfzehn – glaubte sie, dieser Vergewaltiger sei ihr Vater. Erst auf ihrer anschließenden Flucht erfährt sie, dass ihre biologischen Eltern von Handlangern des Touré-Regimes ermordet wurden, was der Adoptivvater Atou verschwieg – ihre Adoptivmutter taucht nur als Randfigur auf.

Beide Protagonistinnen dieses Romans lavieren sich in durch das von verantwortungslosen Männern geschaffene Labyrinth und die Scherbenhaufen ihres Lebens. Dabei finden sie Leidensgenossinnen, die ähnliche Schicksale teilen und die sie teilweise großherzig unterstützen. So wird Atou von einem gleichaltrigen Mädchen – einer Zufallsbekanntschaft – und deren resoluter Tante während ihrer Flucht in der Hauptstadt Guineas versteckt. Über das Schicksal dieser Frau erfährt man wenig, offensichtlich hat auch sie geliebte Menschen verloren. 

Vieles in dem Roman bleibt unsagbar. Tierno Monénembo hat auch über Gewaltüberlebende in Algerien und Ruanda Romane geschrieben, die ihn als einen der wichtigsten frankophonen Schriftsteller auszeichnen. Mit Indigoblau macht er dieser Anerkennung alle Ehre.

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