Die deutschen Dokumentarfilmer Marcus Vetter und Michele Gentile beschreiben in ihrem Film "War and Justice", wie der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag funktioniert.
Russlands Krieg gegen die Ukraine und der Krieg in Israel liefern aktuelle Anlässe für die detailfreudige filmische Auseinandersetzung der beiden Regisseure Marcus Vetter und Michele Gentile mit der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH): Im Februar 2022 erlässt dieser einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus der Ukraine und damit verbundenen mutmaßlichen Kriegsverbrechen. 18 Monate später reist der IStGH-Chefankläger Karim Khan in den Nahen Osten, um Vorwürfen zu Kriegsverbrechen aufseiten der palästinensischen Hamas und Israels nachzugehen.
Das Römische Statut von 1998, das den IStGH begründet, ist am 1. Juli 2002 in Kraft getreten; heute haben es 139 Länder unterzeichnet und 124 ratifiziert. Aufgabe des IStGH ist es, die Straflosigkeit für schwerste Verbrechen von internationalem Interesse zu beenden. Im Mittelpunkt des Films steht der argentinische Jurist Luis Moreno Ocampo, der als erster Chefankläger (2003–2012) den Gerichtshof international bekannt gemacht hat. Die Filmemacher folgen ihm im Oktober 2023 zu einer wichtigen Rede in Nürnberg über den Ukraine-Krieg und die bisherige Geschichte des IStGH. Der Auftritt schlägt die Brücke zu Benjamin Ferencz, der 1947–48 als junger US-Ankläger am sogenannten Einsatzgruppen-Prozess in Nürnberg mitgewirkt hat. Moreno Ocampo hat Ferencz bei seinem ersten Prozess in sein Team geholt: 2011 gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga Dyilo, dem vorgeworfen wurde, Kindersoldaten rekrutiert zu haben.
Gerade große und mächtige Länder erkennen den IStGH nicht an
Der Film präsentiert Ferencz als moralische Institution: Nach seiner Ansicht ist jeder Angriffskrieg ein Kriegsverbrechen, weil er Gräueltaten und den Tod unschuldiger Zivilisten mit sich bringt. Diesem Ziel fühlen sich auch Moreno Ocampo und Khan verpflichtet. Facettenreich arbeiten Vetter und Gentile heraus, wie schwer es zu erreichen ist. Denn der Strafgerichtshof kann nur in Ländern ermitteln, die dem Römischen Statut beigetreten sind. Gerade große und mächtige Länder wie die USA, Russland, China und Indien, aber auch Israel oder die Türkei erkennen den IStGH nicht an. Dessen Juristen sind daher bei der Strafverfolgung gegen Tatverdächtige in diesen Ländern die Hände gebunden. So kann das Gericht etwa Wladimir Putin nicht in Den Haag vor Gericht stellen, weil Russland dem Statut nicht beigetreten ist.
Der Dokumentarfilm, der sich häufig auf Archivaufnahmen etwa zu Fällen in Libyen, in der Demokratischen Republik Kongo oder im Gazastreifen stützt, betont, wie hoch die politischen Hürden für die Arbeit des IStGH und wie komplex die juristischen Verfahren sind. Dabei greifen die Regisseure teilweise auf Bildfolgen aus ihrem Vorgängerfilm „The Court“ von 2013 zurück, der sich vorrangig mit dem Fall des kongolesischen Milizenführers Thomas Lubanga Dyilo befasst.
Sehenswerte, aber manchmal kleinteilige Bestandsaufnahme
Wenn „War and Justice“ immer wieder die Zeitebenen und Schauplätze wechselt und der Schnitt hektisch wird, wirkt der Film zuweilen kleinteilig und kurzatmig. Gleichwohl ist er eine sehenswerte Bestandsaufnahme, die aufschlussreiche Blicke hinter die Kulissen der juristischen Maschinerie des IStGH wirft und Denkanstöße zu dessen Fortentwicklung gibt.
Einen Fortschritt hat der Gerichtshof 2017 erreicht, als ihm die Vertragsstaaten die Zuständigkeit für Angriffskriege übertragen haben. Es bleibt die Hoffnung, dass er irgendwann Staatsführer, die Angriffskriege lostreten, tatsächlich zur Rechenschaft ziehen kann.
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