Plädoyer für eine islamische Erinnerungskultur

Abdel-Hakim Ourghi: Die Juden im Koran. Ein Zerrbild mit fatalen Folgen. Claudius Verlag, München 2023, 264 Seiten, 26 Euro

Seit dem Überfall der Hamas in Israel wird die Frage neu diskutiert, wie Muslime zu Israel stehen. Das vor dem 7. Oktober 2023 geschriebene Buch des aus Algerien stammenden und in Freiburg lehrenden Islamwissenschaftlers Abdel-Hakim Ourghi liefert dafür eine gute Grundlage.

Der Autor legt ein wissenschaftlich solides Buch vor. Gewidmet hat er es „allen Jüdinnen und Juden, die im Laufe der Geschichte unter muslimischer Herrschaft diskriminiert und aus ihrer Heimat vertrieben und verfolgt wurden oder der islamischen Judenfeindschaft und dem Antisemitismus zum Opfer fielen“. Man kann Abdel-Hakim Ourghis Buch auch als den Versuch eines Muslims verstehen, mit blinden Flecken in der Geschichte seiner Religion sowie mit Geschichtsklitterungen und Mythen aufzuräumen. 

Als einen dieser Mythen beschreibt der Autor den vom toleranten Andalusien, wo ab dem achten Jahrhundert unter der Herrschaft der Muslime Juden wie auch Christen geschätzt und anerkannt gewesen sein sollen. Nicht nur in der islamischen Welt, sondern auch in der westlichen Wissenschaft und Literatur wird diese Zeit gerne als das goldene Zeitalter der islamischen Toleranz beschrieben und als schlagender Beweis dafür, dass der Islam nicht per se judenfeindlich sei. 

Für Ourghi ist das historische Schönfärberei, und er zeigt, dass damals sehr wohl religiöse Minderheiten in Andalusien wie auch später im Osmanischen Reich eine Schutzsteuer an die muslimischen Herrscher zahlen mussten. Teilweise war die Abgabe dieser Steuer mit demütigenden Ritualen wie zum Beispiel einer öffentlichen Ohrfeige oder einem Stockschlag durch den Repräsentanten des Sultans verbunden, damit alle Welt wusste, dass Juden und Christen Bürger zweiter Klasse waren. Darüber hinaus berichtet Ourghi von historisch verbrieften Pogromen von Muslimen an Juden in verschiedenen Städten ihres Herrschaftsbereichs. 

Islamische Judenfeindschaft ist schon sehr alt

Antisemitismus, betont der Autor, sei keine Erfindung des europäischen Christentums, die erst mit der westlichen Kolonialisierung der arabischen Welt ab dem 19. Jahrhundert in den islamischen Diskurs eingeflossen sei. Islamische Judenfeindschaft habe es schon lange davor gegeben. Die Staatsgründung Israels und der Nahostkonflikt hätten das noch verstärkt, schreibt Ourghi.

Um das zu belegen, geht er in die Frühgeschichte des Islam zurück und beschreibt etwa die Auseinandersetzungen des Propheten Mohammad mit den drei in Medina ansässigen jüdischen Stämmen, die ihn nicht als Gesandten Gottes anerkennen und nicht zum Islam konvertieren wollten. Ziel der Gemeinde des Propheten sei deshalb gewesen, die jüdische Kultur in Medina auszulöschen. Ourghi zitiert dazu aus dem „koranischen Sündenkatalog über Juden“ und macht anhand einzelner Suren deutlich, wie viel Antijüdisches in der Heiligen Schrift des Islam steckt. 

Dass es im Koran judenfeindliche Suren gibt, darf nicht verwundern. Es ist ein typisches Muster in der Religionsgeschichte, dass sich neu entstehende Religionen von den Religionen, aus denen sie sich entwickelt haben, absetzen müssen. So lassen sich auch die Stellen im Neuen Testament erklären, in denen die Juden nicht gut wegkommen. Sie bilden die Grundlage für den christlichen Antijudaismus.

An die jüdischen Opfer muslimischer Herrschaft erinnern

Ourghi fordert, dass an die jüdischen Opfer muslimischer Herrschaft erinnert wird, beispielsweise in Form von Gedenkstätten an den Orten der Pogrome in Medina in Saudi-Arabien, Tlemcen in Algerien oder Damaskus in Syrien. Nur so hätten Versöhnung und Frieden überhaupt eine Chance. Er endet mit einem dringenden Plädoyer für den Dialog zwischen Islam und Judentum. 

Man wünscht dem Buch eine breite Leserschaft unter Muslimen und Nicht-Muslimen, für die einen als Möglichkeit, sich kritisch mit der eigenen Religion auseinanderzusetzen, für die anderen als Anstoß, selbst nach Antisemitismus in der eigenen Geschichte und Gegenwart zu suchen. 

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Von dem vorgestellten Buch habe ich bis zu Ihrem Newsletter noch nie etwas gehört und gelesen. Vielen Dank für diese Information. Zu vermuten ist, daß dieses 'Plädoyer für eine islamische Erinnerungskultur' in der aktuell extrem entflammten sowohl militärischen wie auch intellektuellen Konfrontation nach dem "7.Oktober 2023" nicht zur Kenntnis genommen oder instrumentalisiert wird. Wer könnte denn Träger einer solchen 'islamischen Erinnerungskultur' sein? Von den jeweiligen staatsoffiziellen Seiten ist diese Arbeit doch wohl kaum zu erwarten oder bin ich da von meinen eigenen Vorurteilen geblendet?
Carl Wilhelm Macke ( München )
www.journalistenhelfen.org

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