Der Historiker Javier Puente beschreibt, wie der peruanische Staat im 20. Jahrhundert funktionierende Gemeinden im zentralen Bergland geschwächt hat und welche Rolle die Quechua-Bevölkerung selbst dabei spielte.
Folgt man Javier Puente, dann ist das Unverständnis der peruanischen Regierungen für die traditionelle Kultur der Quechua in den Anden ein Nebeneffekt diverser Versuche, die ländlichen Regionen zu modernisieren. So vertrieben die Liberalen um die Wende zum 20. Jahrhundert herum die Quechua-Schafhirten, um Platz für ausländische Bergbauunternehmen und Viehfarmen zu schaffen. Die Regierungen der 1930er und 1940er Jahre erkannten die indigenen Gemeinden zwar rechtlich an, gaben ihnen sogar teilweise Land zurück und legten Sozialprogramme auf. Aber sie ersetzten dabei traditionelle Dorfautoritäten durch neue Mittelsmänner, damit die Gemeinden ihren Beitrag zur nationalen Entwicklung leisteten.
Der Historiker Puente betont, dass damals die Landgemeinden vor und während der Landrückgabe hochgradig organisiert waren und juristische und politische Strategien gegenüber dem Zentralstaat verfolgten, um ihr Land zurückzubekommen. Dabei passten die Dorfautoritäten sich den jeweiligen ideologischen oder entwicklungspolitischen Konjunkturen an. In Zeiten der sich progressiv gebenden Militärdiktatur nach dem Putsch von 1968 taucht in den Sitzungsprotokollen des Dorfes Ondores sogar der Begriff der Revolution auf.
Weder egalitär noch ausnahmslos arm
Der Autor räumt zum einen mit dem Klischee von der traditionellen, egalitären indigenen Gemeinschaft auf. Zum anderen zeigt er, dass die Landgemeinden vor der von Weltbank und UN unterstützten Agrarreform der Militärs ab 1969 keineswegs alle arm gewesen sind und die enteigneten Farmen auch nicht alle dem vormodernen Stereotyp entsprochen hatten. Stattdessen empfanden viele Gemeindemitglieder die von den Militärs eingeführten neuen, zentralstaatlich gelenkten Agrarkooperativen als eine Neuauflage alter semi-feudaler Abhängigkeiten, die nur in den ersten Jahren wirtschaftliche Vorteile brachten. Deshalb verließen zahlreiche Gemeinden diese Kooperativen wieder.
Letztlich waren aber die Terrorherrschaft der maoistischen Guerrilla des Leuchtenden Pfades und die Gegengewalt der Staatsorgane dafür verantwortlich, dass sich Gemeinden wie Ondores in den 1980er Jahren mehr als je zuvor vom Staat isolierten, bevor dieser in den 1990er Jahren das Interesse an ihnen verlor. Statt Entwicklung blieben verarmte, sozial stärker differenzierte und weitgehend entvölkerte Dorfgemeinden zurück. Als Gegenreaktion erleben heute ökologische und indigenistische Diskurse eine Renaissance.
Mittels Auswertung der Sitzungsprotokolle der Dorfversammlungen von Ondores zeichnet der Autor ein differenziertes Bild dieser emblematischen Quechua-Gemeinde und der diversen Bemühungen, diese zu „entwickeln“. Das ist nicht zuletzt interessant in Bezug auf die starken Proteste nach der Absetzung des Präsidenten Castillo Anfang 2023, der von vielen Quechua als einer der ihren angesehen wird. Die Arbeit richtet sich vor allem an ein akademisches Publikum. Ein Viertel des Buches machen Fußnoten und das Literaturverzeichnis aus. Die Studie ist gleichwohl verständlich geschrieben und mit zahlreichen Zusammenfassungen und Fotos versehen. So mag sie auch für eine schnelle Lektüre für ein entwicklungspolitisches Fachpublikum nützlich sein.
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