Dieser dreisprachige Sammelband beleuchtet eindrucksvoll die jüngsten Bemühungen, Ansätze von Gerechtigkeit für die horrenden Verbrechen in Syrien zu schaffen.
Eine besondere Qualität dieser Veröffentlichung ist, dass sie konsequent der Perspektive von Betroffenen Platz einräumt: Den Opfern ebenso wie den zahlreichen syrischen Menschenrechtlerinnen, Anwälten und Aktivisten, die für ein Ende der Straflosigkeit kämpfen.
Die Aufsatzsammlung, die Wolfgang Kaleck und Patrick Kroker vom Berliner European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) herausgegeben haben, beginnt mit der Geschichte der palästinensisch-stämmigen Syrerin Ruham Hawash. Sie erzählt, wie sie im März 2012 verhaftet wurde, weil sie auf die landesweiten Demonstrationen gegangen war. Über Monate wurde sie vom Staatssicherheitsdienst in der berüchtigten Al-Khatib-Abteilung in Damaskus festgehalten, befragt und erniedrigt. Hawash wird schließlich zur Ausreise gezwungen – damit entkommt sie der physischen Folter, aber nicht den psychologischen Nachwirkungen des Terrors. In Deutschland bekommt sie Jahre später die Gelegenheit, vor einem deutschen Gericht gegen ihre Peiniger auszusagen. Es ist für sie persönlich ein befreiendes Gefühl, aber es geht ihr auch um die Menschen, die noch heute in den syrischen Foltergefängnissen sitzen.
Die außergewöhnlichen Prozesse, um die es hier geht, fanden von April 2020 bis Januar 2022 vor dem Oberlandesgericht Koblenz statt: Vor Gericht standen zwei Mitglieder des syrischen Staatsapparates, angeklagt wegen ihrer Mitverantwortung für systematische Menschenrechtsverletzungen. Im Februar 2021 wurde zunächst Eyad A. wegen Beihilfe zur Folter zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Im Januar 2022 folgte der Schuldspruch gegen Anwar R., einen ehemaligen Oberst und Vernehmungschef in der berüchtigten Abteilung 251 des syrischen Geheimdienstes – der Al-Khatib-Abteilung, in der auch Ruham Hawash gedemütigt wurde. Er wurde wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt: 27 Morde und 4000 Fälle von Folter konnten ihm nachgewiesen werden.
Erfolge und Grenzen der Aufarbeitung
Grundlage der Urteile war das deutsche Völkerstrafrecht, das es möglich macht, besonders schwere Menschenrechtsverbrechen zu verfolgen, auch wenn sie nicht in Deutschland begangen wurden, weil sie aufgrund ihrer Schwere eine universelle Bedeutung haben. Der Band informiert über die juristischen Details der Prozesse und den völkerrechtlichen Kontext. Hannah El Hitami, die den Prozess aus der Nähe als Reporterin begleitet hat, vermittelt einen Eindruck von der emotionalen Belastung nicht nur für die unmittelbar Betroffenen. Der mittlerweile in Berlin ansässige syrische Intellektuelle und Dissident Yassin Haj Salah besticht durch eine tiefgründige, philosophische Betrachtung der verschiedenen Dimensionen von Folter und wie sie das syrische System seit Jahrzehnten einsetzt. Salah weiß, wovon er redet, er saß in den 1980-ern selbst in Haft. Die Schriftstellerin Rosa Yassin Hassan und die Juristin Joumana Seif erinnern an die seit Jahrzehnten omnipräsente Gewalt des syrischen Regimes, die stets von Rechtfertigungspropaganda und dem Versuch der Verdrängung begleitet wurde.
Die im Band versammelten Beiträge geben ein umfassendes Bild der Versuche, Unrecht in Syrien juristisch und gesellschaftlich aufzuarbeiten – ihrer Erfolge, aber auch ihrer Grenzen. Dass dieses wichtige Buch auch gleich auf Arabisch erscheint, birgt die Chance, dass dieser Kampf gegen die Straflosigkeit auch mehr Beachtung in der arabischen Welt und nicht zuletzt der syrischen Bevölkerung findet.
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