Ein indigenes Mädchen emanzipiert sich 

Die Tochter der Sonne. Bolivien, Spanien, Deutschland 2021. Regie: Catalina Razzini. 85 Minuten, DVD: EZEF, ab Anfang 2023 für die Bildungsarbeit bereit.

Das Drama der bolivianischen Regisseurin Catalina Razzini erzählt von Lucía, die mit ihrer Familie auf der Sonneninsel im Titicacasee lebt. Als ihr Vater nach La Paz fährt, um Arbeit zu suchen, zieht sie sich in eine Fantasiewelt zurück. Als er heimkehrt, ist er ihr fremd. 

Am Lagerfeuer auf der Sonneninsel zeigt Pedro seiner zehnjährigen Tochter Lucía, wie man aus Totora-Schilf kleine Schiffchen flechten kann, die die Mutter an Touristen verkauft. Zwischendurch erzählen sie sich Geschichten vom Seeungeheuer Isuru, das den Eingang zu einer sagenumwobenen Unterwasserstadt bewacht. Am nächsten Morgen bricht Ped­ro mit dem Motorboot auf, um in der Hauptstadt La Paz Arbeit zu suchen. Auf der Insel kann er den Lebensunterhalt für seine Frau Justina, Lucía, die jüngere Tochter Maribel und das Baby Adrián nicht mehr verdienen. 

Lucía vermisst den Vater sehr und geht immer wieder in der Hoffnung zum Bootssteg, dass er aus einem der ankommenden Boote steigt. Stattdessen treffen Touristen ein, die Lucías gleichaltriger Freund Sebastián zu den Relikten der Inka-Kultur auf der Insel führt. Dabei erzählt er ihnen die Legende vom mächtigen Sohn der Sonne, der zu Erntebeginn zur Insel zurückkehrt. Auch Lucía befasst sich eingehend mit der Mythologie der Inka, wonach der erste Inka Manco Cápac und seine Frau Mama Oclla über einen Felsen auf der Sonneninsel auf die Erde gestiegen sind. Nach und nach erschafft sie sich eine eigene Fantasiewelt, die sie immer wieder in Konflikte mit ihrer strengen Mutter bringt, die sie zur Mitarbeit im Haushalt anhält. Während des endlosen Wartens auf ihren Vater verändert sich das Mädchen. Es bekommt die erste Blutung und versucht herauszufinden, ob alles, was die Insel verlässt, wirklich wiederkehrt. Als Pedro eines Tages endlich eintrifft, bleibt sie seltsam kühl und sagt zu ihrer Schwester: „Das ist nicht mein Papa.“ Sie beschließt, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. 

Eine kleine Rebellin, souverän gespielt

Die bolivianische Regisseurin Catalina Razzini schildert die seelische Entwicklung des Mädchens in langen, ruhigen Einstellungen und bettet sie in eindrucksvolle Panorama-Aufnahmen der kargen Landschaft rund um den Titicacasee ein, der auf 3.800 Meter Höhe in den Anden liegt. Am größten Süßwassersee Südamerikas wohnen die Aymara, zu denen auch Lucías Familie gehört. Geradezu beiläufig zeigt der Film die traditionsverbundene Lebensweise dieser Volksgruppe, die einfachen kleinen Häuser, auch die Armut, denn Lucía und Maribel müssen zum Einkommen der Familie beitragen, etwa indem sie bunte Steine an Urlauber verkaufen oder mit Panchito, ihrem geliebten Alpaka, gegen eine Münze für ein Foto posieren. 

Razzini, die in Bolivien Film und Literatur studiert und in Madrid mit einem Master in Filmregie abgeschlossen hat, nimmt sich reichlich Zeit, um das Alltagsleben der Protagonistin anschaulich zu machen: die Zankereien mit der gleichwohl geliebten Schwester, die Reibereien mit der Mutter, die beklagt, dass ihr Mann kein Geld mehr schickt, aber auch Konflikte mit einer Mitschülerin oder Lucías Streifzüge an der Küste entlang. Dazu gehört auch der geheime Pakt mit dem gewieften Nachbarsjungen Sebastián, der schließlich mit seinen Beziehungen ihren riskanten Aufbruch mit dem Boot ermöglicht. Die junge Hauptdarstellerin María Belén Callisaya spielt die kleine Rebellin Lucía kraftvoll und souverän, ohne je ins Exaltierte zu verfallen. Ein sensibles Indigenen-Porträt, das konsequent aus Kinderperspektive erzählt wird und gerade mit seiner Einfachheit für sich einnimmt. 

Die Produktion des Films wurde von Brot für die Welt aus Mitteln des kirchlichen Entwicklungsdienstes gefördert.

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