Fundierte Einblicke zum Sahel

Fritz Edlinger und Günther Lanier: Krisenregion Sahel. Hintergründe, Analysen, Berichte. Promedia Verlag, Wien 2022, 256 Seiten, 22 Euro

In Mali, Burkina Faso und Niger schreitet der Staatszerfall fort. Was kann man von außen dagegen tun? Drei Handbücher befassen sich mit der Frage, worauf sich eine neue Sahel-Strategie stützten könnte. 

Alle drei Bücher geben wichtige Einblicke in die Problemlage der Sahel-Region. Der Band von Fritz Edlinger und Günther Lanier ist fachjournalistisch, der von Julius Heß und anderen eher populärwissenschaftlich gehalten, jedoch unter Beteiligung ausgewiesener Fachleute der deutschen Afrikawissenschaften. Leonardo Villalóns Werk aus Oxford nimmt alle akademischen Fachdebatten auf und ist am schwersten zu verarbeiten.

Problematisch ist in den beiden deutschsprachigen Texten das „Reden über Afrika“: Der Band aus Potsdam kommt bei rund zwei Dutzend Autoren völlig ohne afrikanische Beiträge aus, der aus Wien fast ebenso. Das ist nicht akzeptabel. Das monumentale Oxford-Handbuch greift dagegen unter maßgeblicher Beteiligung afrikanischer Autoren und Quellen grundsätzlich weiter aus und ordnet den heutigen Sahel in den Wettstreit zweier globaler Projekte ein: Liberalismus und Islamismus, die den Autoren zufolge im Sahel seit Jahrhunderten konkurrieren. Dieses Framing ist wesentlich, um die Wurzeln heutiger Konflikte zu verstehen.

Julius Heß, Karl-Heinz Lutz und Torsten Konopka (Hg.): Wegweiser zur Geschichte- Mali und westlicher Sahel. Brill/Ferdinand Schöning, Paderborn 2021, 284 Seiten, 29,90 Euro

Alle drei Texte sind sich bemerkenswert einig in der Differenzierung, dass globale Megatrends wie Klimawandel oder Bevölkerungsexplosion in ihren Folgen nicht eindeutig sind und die Konfliktlage im Sahel nicht vollständig erklären können. Der Band aus Oxford bildet dazu eine spannende Kontroverse über den sogenannten Klima-Reduktionismus ab: Gehen die beiden feststehenden Klimafaktoren Temperaturanstieg und Zunahme von Extremwetter-Ereignissen in den betroffenen Ländern wirklich überall mit Niederschlagsrückgang, Desertifikation und schwindenden Naturressourcen einher?

Entsprechend wird in diesem Band jede Theorie, wonach das über die Tragfähigkeit der Landwirtschaft hinausgehende Bevölkerungswachstum das Problem sei, kritisch dekonstruiert. Unter Umständen, so wird betont, kann eine wachsende Bevölkerung sogar zu steigenden Agrarerträgen führen. Dennoch prognostizieren die Autorinnen und Autoren ein Scheitern der Staaten, wenn Familienplanung und Sekundarschulbesuch für Mädchen nicht in der gesamten Region ins Zentrum der Entwicklungsagenda gerückt werden. Die Bücher aus Potsdam und Wien umschiffen dieses Thema in großem Bogen.

Leonardo Villalón (Hg.): The Oxford Handbook of the African Sahel. Oxford University Press, Oxford 2021, 832 Seiten, ca. 142 Euro

Alle drei Bände analysieren die regionalen Konflikte um ländliche Produktionsverhältnisse, die mit der schematischen Gegenüberstellung von Viehzüchtern (Fulbe, Tuareg) und Ackerbauern (alle anderen Ethnien) nicht erfasst werden können (großartig hier: der Beitrag von Charlotte Wiedemann in dem Wiener Handbuch). Entsprechend erscheint die gegenwärtige Ethnisierung des Konflikts vor allem in Burkina und Mali genau als das, was sie ist: ein politisches Erzeugnis.

Alle drei Bücher scheitern aber letztlich am Staatsverständnis. Sie berichten über die kolonialen Wurzeln westafrikanischer Staatlichkeit, über die Rolle des Militärs in der Politik und die Welle der Demokratisierung ab den 1990er Jahren. Begrifflich herrscht aber keine Einigkeit über den Charakter der Staatswesen in der Region, so dass nach Lektüre der Texte die Wandlung von der ‚Musterdemokratie‘ in Mali oder der ‚institutionalisierten Demokratie‘ in Burkina Faso zur offenen Existenzkrise beziehungsweise zum flächendeckenden Kontrollverlust des Staates überraschend kommt. 

Kritische Faktoren nicht zusammengedacht

In der Summe haben alle drei Werke ein grundsätzliches Problem damit, die Mehrdimensionalität der Krise abzubilden, innere und äußere Faktoren empirisch zu gewichten und systematisch Lösungs- bzw. Auflösungsszenarien zu konzipieren. Das Oxford-Handbuch entscheidet sich, schlicht „sozialen Wandel“ in Religion und bürgerlichen Identitäten anzubieten und die Gesellschaften des Sahel als „on the move“, in Urbanisierung, Migration und Transnationalismus zu zeigen – alles wichtige Trends, aber offensichtlich unterkomplex. Ein zentrales Kapitel schließt mit der Bemerkung, dass die Region auf „innovative politische Initiativen“ warte, die Sicherheit und Entwicklung verbinden. 

Es wird wohl noch ein weiteres Handbuch geben müssen, das kritische Faktoren systematischer zusammendenkt und daraus realitätstaugliche Szenarien für internationale Sicherheitspolitik entwickelt.

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