In dieser politischen Biografie zeichnet der Journalist Andreas Nöthen den Aufstieg des Metallarbeiters Luiz Inácio Lula da Silva zum Präsidenten Brasiliens und seine Verurteilung wegen Korruptionsvorwürfen nach.
Luiz Inácio Lula da Silva, der in den 1980er Jahren als wortgewaltiger Anführer der trotzkistischen Metallarbeitergewerkschaft Bekanntheit erlangte, forderte mit seiner Arbeiterpartei (PT) seit der Rückkehr Brasiliens zur formalen Demokratie 1985 alle vier Jahre die etablierte Politik heraus. Bei jeder Wahl konnte der einstige Bürgerschreck an Stimmen zulegen, allerdings musste er dafür ein Stück Richtung politische Mitte rücken.
2002 schließlich gelang es ihm, sich in einer Stichwahl durchzusetzen. Aber der Preis war hoch: Nur durch Bündnisse mit Zentrums- und Rechtsparteien konnte sich Lula im Kongress die nötige Mehrheit sichern, um seine Sozialreformprogramme wie „Null Hunger“ oder die Familiengrundsicherung „Bolsa Familia“ durchzubringen. Symbolisch für den bizarren Balanceakt war, dass Lula, der Hoffnungsträger der Landlosenbewegung MST, ausgerechnet einen reaktionären Großgrundbesitzer zum Landwirtschaftsminister machte. Bald wurde ruchbar, wie Abgeordnete mit lukrativen Posten oder Bestechungsgeldern von Männern des Präsidenten gekauft wurden, damit Lula seine Projekte im Kongress durchbringen konnte. Enge Mitarbeiter wurden verurteilt. Es gehört zu den Geheimnissen der brasilianischen Politik, wie Lula trotz der Skandale in seinem unmittelbaren Umfeld seine persönlichen Beliebtheitswerte steigern konnte.
Bei seiner Wiederwahl 2006 wirkten sich seine zahlreichen Sozialprogramme, die die Armut spürbar reduziert hatten, bereits aus und eine größere Anzahl an Wählerinnen und Wählern aus den traditionell für rechte Parolen anfälligen marginalisierten Schichten gab ihm – allerdings erst in einer Stichwahl – ihre Stimme.
Trotz allem ungebrochene Popularität
Nöthen stellt Lula als tragische Gestalt dar, die ihre besten Absichten der Reihe nach verrät: die versprochene Agrarreform, auf die Millionen Landlose vertraut hatten, ebenso wie den Schutz des Amazonas-Regenwaldes mitsamt dessen Ureinwohnern. Im Bemühen, die traditionellen Eliten nicht zu vergrämen, ließ er (oft unrechtmäßig erworbenen) Großgrundbesitz nicht enteignen und zur Verteilung bringen, sondern setzte auf den Markt. Er ließ Ländereien zu häufig überhöhten Preisen aufkaufen und verteilte sie auch an städtische Arbeitslose, die bald darauf als Ackerbauern scheiterten und das Land wieder an Großgrundbesitzer verkauften. Was den Amazonas betrifft, so ist der ehemalige Industriearbeiter mehr dem traditionellen Fortschrittsgedanken verhaftet als dem Gedankengut der Ökologie und Nachhaltigkeit. In Lulas zweiter Amtszeit wurde mehr Regenwald abgefackelt, als zuletzt unter dem zurecht kritisierten Präsidenten Jair Bolsonaro.
Dass Lula auch selbst in Korruptionsskandale verwickelt war und nach seiner Amtszeit zu einer hohen Haftstrafe verurteilt wurde, hat seiner Popularität kaum Abbruch getan. Der Autor hält es – in Übereinstimmung mit den Umfragen – für möglich, dass der inzwischen wegen eines gerichtlichen Formfehlers wieder freie Lula im Oktober gegen Bolsonaro gewinnt und eine dritte Amtszeit antreten kann. Er ist aber skeptisch, was seine Fähigkeit betrifft, längst fällige Strukturreformen anzugehen.
Das Buch bietet einen detailreichen Überblick über Werdegang und Geschicke eines prägenden Politikers Lateinamerikas. Trotz zahlreicher Druckfehler sei es als Vorbereitung auf die Wahlen vom 2. Oktober empfohlen.
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