Die Dokumentation der Caritas-Auslandseinsätze beleuchtet eine hundertjährige Geschichte von Kriegen und Katastrophen. Darüber hinaus zeigt sie, wie sich das Verständnis von Fotografie im Zusammenhang mit humanitärer Hilfe gewandelt hat.
1921: Hungersnot in Russland, fast fünf Millionen Menschen sterben. Deutsche Hilfsorganisationen schließen sich zum Bündnis „Brüder in Not“ zusammen. Mit dabei ist die Abteilung Auslandshilfe des Deutschen Caritasverbandes. Blickfang im Text über diesen ersten Einsatz ist ein Schwarz-Weiß-Foto: Frauen und Kinder in Winterkleidung, vor sich leere Töpfe. Mit versteinerten Minen starren sie frontal in die Kamera, ihre Blicke misstrauisch, leer vom Hunger.
2018: Eine Caritas-Fotografin nimmt in Java, Indonesien, vom Tsunami Betroffene auf. Sie haben sich im Halbkreis am Strand aufgestellt, der mit Schutt bedeckt ist. Zu sehen sind sie von der Seite und im Verhältnis zur Gesamtansicht recht klein. Sie tragen bunte Kleidung. Das alles schafft, anders als 1921, Distanz zur vorangegangenen Katastrophe.
Oliver Müller, der Leiter von Caritas International, betont in dem Buch, das heutige Fotomotive von Caritas-Aktionen Menschen auf Augenhöhe und möglichst authentisch zeigen sollen. Auch bei Aufnahmen aus Kriegen und Hungersnöten sei Respekt vor den Porträtierten das höchste Gebot.
Farbfotos von oft lächelnden Menschen
Die Bilder zeigen den Übergang von Schwarz-Weiß-Fotos von verzweifelten Gesichtern hin zu Farbfotos von oft lächelnden Menschen. Bilder kleiner Jungen im Kosovo, an die die Caritas während des Krieges auf dem Balkan Schokoriegel verteilt, zeigen die ersten lächelnden Hilfeempfänger in Farbe. Ab da bilden die Fotos in dem Band neben Kriegen und Katastrophen immer wieder ab, wie die Hilfe Lebensfreude zurückbringt oder zumindest ein Stück Normalität. So auf der Großaufnahme eines Jungen, der 2014 in der Ostukraine vor einem Haus spielt – mit einem Spielzeugpanzer. Er wirkt in sich gekehrt. „Eine Kindheit im Krieg“ lautet der Bildtitel.
Das Kapitel „Corona in der Welt“ ist mit bunten Fotos gespickt: Partnerorganisationen im Einsatz für Bedürftige, von denen manche fröhlich wirken. Bilder, bei denen Menschen die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben ist, finden sich da nicht mehr. Die letzten solchen Aufnahmen datieren von 1984 aus der Hungersnot in Äthiopien. Aber ob lächelnde Hilfeempfänger tatsächlich eine respektvollere Darstellung sind oder nur weniger verstörend für Betrachter und motivierender für Spender – diese Frage stellt sich beim genauen Hinsehen.
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