Ami Ajalon war Mitglied im nationalen Sicherheitsrat und auch schon Chef einer Kampfschwimmeinheit, Kommandeur der Marine, Leiter des Inlandsgeheimdienstes, Knesset-Abgeordneter und Minister. Seine politischen Erinnerungen werfen ein interessantes Schlaglicht auf die israelische Gesellschaft und den Nahostkonflikt.
Dass er Menschen im Kampf getötet hat, gibt Ami Ajalon unumwunden zu. Er habe deshalb keine Schuldgefühle. Doch aus der Freund-Feind-Logik des Militärs bricht er erstmals als Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet aus: Um den Terror zu bekämpfen, sucht er sich Partner auf palästinensischer Seite. Er beginnt, palästinensische Autoren, Dichter und Philosophen zu lesen, studiert Meinungsumfragen palästinensischer Soziologen. Schritt für Schritt arbeitet er sich in die Gedankenwelt „der anderen Seite“ ein. Er beginnt zu begreifen, dass die israelische Seite nicht nur Anforderungen an die Palästinenser stellen darf, sondern auch Vertrauen aufbauen muss. Zusammen mit dem palästinensischen Philosophen und ehemaligen Präsidenten der Al-Quds-Universität Sari Nusseibeh gründet Ajalon 2003 die Friedensinitiative „The People’s Voice“, die sich auf zivilgesellschaftlicher Ebene für eine Zweistaatenlösung starkmacht.
In seinen Memoiren fragt Ajalon kritisch nach der Zukunft des Staates Israel, der mit seiner augenblicklichen Politik nicht nur die palästinensischen Nachbarn erniedrige, sondern auch die israelische Zivilgesellschaft untergrabe. Auf Dauer stehe nicht nur die Sicherheit des Landes, sondern auch seine demokratische Identität auf dem Spiel. Es reiche nicht, die Ungerechtigkeit der Besatzung zu erkennen und mit den Palästinensern ein gemeinsames Bild von der Zukunft zu entwerfen. Man müsse auch die nationalistische Geschichtsschreibung hinterfragen, mit der alle Israelis aufwüchsen.
Mit fatalen Irrtümern behaftet
Schmerzhaft stellt Ajalon fest, dass „die Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen“, mit „fatalen Irrtümern“ behaftet seien. Die Kibbuz-Generation seiner sozialistischen Eltern habe die zweitausendjährige jüdische Geschichte in der Diaspora ausgelöscht und direkt an das heldenhafte Zeitalter der israelitischen Königreiche und Kriege gegen Griechen und Römer anknüpfen wollen. Auch er habe als Militär sein Handeln immer mit der Strategie „Siedlung und Sicherheit“ begründet. Niemals sei ihm in den Sinn gekommen zu hinterfragen, „inwieweit die Erzählungen, mit denen alle Israelis großgeworden sind, unser Handeln und unsere Sichtweise der Zukunft bestimmen“.
Die Vergangenheit müsse neu erfunden werde, um eine Zukunft als Staat und als Gesellschaft zu haben, fordert er. Dazu gehöre, die Palästinenser als ein Volk zu begreifen, das ebenfalls eine Vergangenheit und damit eine Zukunft in diesem Landstrich zwischen Jordan und Mittelmeer habe.
Dass ein so grundlegender Wandel nicht einfach herbeigeschrieben werden kann, weiß Ajalon. Deshalb fällt seine Prognose eher pessimistisch aus: Es brauche wohl noch einige weitere Jahre einer rechtsgerichteten Herrschaft, bis man erkenne, wie selbstzerstörerisch dieser Ansatz sei.
„Im eigenen Feuer“ ist ein Buch, das nicht kalt lässt. Schonungslos deckt Ajalon eigene Fehleinschätzungen auf und fordert damit von sich und seinen Leserinnen und Lesern einen tief gehenden Perspektivwechsel. Damit richtet er sich nicht nur an ein israelisches Publikum, sondern an alle, denen ein gerechter Frieden zwischen Mittelmeer und Jordan am Herzen liegt.
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