Entwicklung als globale Daueraufgabe

Heike Kuhn, Wolfram Stierle und Laura-Theresa Krüger (Hrsg.): Sechzig Jahre deutsche Entwicklungspolitik.Das BMZ von 1961 bis 2021.Ein Lesebuch. Verlag Kessel, Remagen-Oberwinter 2021, 324 Seiten, 19 Euro

Das Lesebuch zum 60-jährigen Bestehen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vermittelt interessante Einblicke in das vergleichsweise kleine Ministerium und in das Engagement seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 

An der großen Aufgabe, die Welt gerechter zu gestalten, kann man eigentlich nur scheitern, lautet die Botschaft dieses Buches – doch es kommt darauf an, aus Fehlern zu lernen und entschlossen am Ziel festzuhalten. In den verschiedenen Kapiteln kommen internationale Partner und Partnerinnen zu Wort: Neben vielen anderen wird auch Robert Dussey, seit 2013 der Außenminister Togos, zu den Effekten der Entwicklungszusammenarbeit mit Deutschland interviewt; ebenso berichtet Nashat Yousef Al Shakhatreh, Iman in Irbid, über die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Jordanien, die vor allem im Gesundheitsbereich und bei den sozialen Dienstleistungen Früchte getragen habe. 

Zudem werden auch Stellungnahmen von und Interviews mit damaligen Ministern und Ministerinnen wie Walter Scheel (FDP, 1961–1966), Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD, 1998–2009), Dirk Niebel (FDP, 2009–2013) und Gerd Müller (CSU, 2013–2021) dokumentiert, um zu zeigen, welche Impulse sie in ihren Amtszeiten jeweils gesetzt und welche Richtungen sie vorgegeben haben. Es wird deutlich, wie sich die Zielsetzungen der Entwicklungspolitik gewandelt haben: Weg von der bevormundenden „Entwicklungshilfe“ und der besserwisserischen Projektförderung, hin zu einer gerechteren Gestaltung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der ökologischen Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklung.

Das erste und inhaltlich gewichtigste Kapitel des Buches bietet eine Sammlung kritischer Rückblicke auf die zurückliegenden 60 Jahre deutscher Entwicklungspolitik. Auf wissenschaftlichem Niveau setzen sich die Autoren mit Debatten über Nutzen und Nachteil nicht nur von „Entwicklungshilfe“, sondern des Entwicklungsdenkens überhaupt auseinander. Heute gilt als unstrittig, dass das die Entwicklungspolitik zu Beginn leitende Konzept einer „nachholenden Entwicklung“ falsch war, die  so genannten „Entwicklungsländer“ auf das technische und wirtschaftliche Niveau der Industrienationen zu heben. Und dass jede Form von Entwicklungszusammenarbeit, die nicht auf der Selbstbestimmungsfähigkeit und Souveränität der Partner im globalen Süden aufbaut, insgesamt mehr schadet als nützt.

Berichte über Erfolge und Misserfolge der praktischen Entwicklungsarbeit

Im letzten und längsten Kapitel bringt das Buch kurze Berichte von Mitarbeitenden. Sie erzählen von dem, was sie erlebt haben, in den Hierarchien ministerieller Bürokratie vor Ort, vor allem aber von den Erfolgen und Misserfolgen der praktischen Entwicklungsarbeit in vielen Ländern weltweit. Einer berichtet, um ein besonders eindrückliches Beispiel zu nennen, vom Aufbau eines Kleinstwasserkraftwerks und eines Berufsbildungszentrums in Afghanistan, wobei er zugleich der verzweifelten Hoffnung Ausdruck verleiht, es möge der enorme Einsatz deutscher Entwicklungsarbeit in diesem Land, jetzt, nach der Rückkehr der Taliban, nicht ganz vergeblich gewesen sein. 

Die praktischen Schlussfolgerungen aus der kritischen Reflexion von 60 Jahren Entwicklungszusammenarbeit lassen sich nach der Lektüre in vier Punkten zusammenfassen: Erstens, Entwicklung ist als globale Transformation zu gerechten ökonomischen Rahmenbedingungen und zu ökologischer Nachhaltigkeit zu verstehen. Zweitens, alle Länder sind Entwicklungsländer. Drittens, die globale, aber lokal voranzutreibende Transformation muss den verschiedenen kulturellen und religiösen Lebenseinstellungen und Weltsichten Rechnung tragen. Viertens, Entwicklungszusammenarbeit ist nur erfolgreich, wenn die Partner sich auf Augenhöhe begegnen.

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