Welche Folgen hat ein fataler Justizirrtum für die Verantwortlichen und für die Angehörigen des Opfers? Mit solch schwerwiegenden Fragen befasst sich die iranische Filmtragödie von Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam in eindringlichen Szenenfolgen.
Ausgerechnet der Iran, in dem ein repressives Mullah-Regime herrscht, hat in den letzten Jahren die internationale Filmwelt immer wieder mit herausragenden Werken bereichert. Auffallend ist, dass die Filmemacher sich oft intensiv mit elementaren Aspekten der menschlichen Existenz auseinandersetzen und Themen wie Schuld und Sühne, Gerechtigkeit, Leben und Tod verhandeln – so etwa „Doch das Böse gibt es nicht“ von Mohammad Rasoulof, der 2020 auf der Berlinale gewonnen hat, und „Yalda“ von Massoud Bakhshi (siehe welt-sichten 9/2020).
In dieser Tradition steht auch „Ballade von der weißen Kuh“, die zweite gemeinsame Regiearbeit des Autors und Regisseurs Behtash Sanaeeha und der Schauspielerin und Regisseurin Maryam Moghaddam. Sie spielt in dem Film auch die Hauptrolle der Mina, die im Gefängnis von ihrem Mann Babak Abschied nimmt – er wird wegen eines Mordes hingerichtet. Ein Jahr später arbeitet Mina in einer Milchfabrik in Teheran, um sich und ihre gehörlose kleine Tochter Bita durchzubringen. Als sie erfährt, dass ihr Mann unschuldig war und der wahre Täter überführt wurde, bricht sie fast zusammen. Die Behörden bieten ihr eine finanzielle Entschädigung an, was prompt Begehrlichkeiten ihres Schwagers und Schwiegervaters weckt. Mina besteht jedoch auf einer öffentlichen Entschuldigung der Verantwortlichen für den Justizirrtum.
Plötzlich erhält die Witwe Besuch von einem Mann namens Reza, der sich als alter Freund Babaks ausgibt und Schulden begleichen möchte. Mina reagiert zuerst zurückhaltend, lässt Reza aber schließlich in ihr Leben und nimmt seine Hilfe an. So vermittelt er ihr eine neue Wohnung und hilft im Sorgerechtsstreit mit den Verwandten ihres Mannes. Reza verheimlicht ihr jedoch, dass er der Richter ist, der das Todesurteil unterschrieben hat. Als Reza, der inzwischen gekündigt hat, wegen der Schuldgefühle und nach dem Tod seines erwachsenen Sohnes infolge einer „Überdosis“ in eine seelische Krise gerät, kümmert sich Mina fürsorglich um ihn. Kurz nachdem sie den Rechtsstreit gewonnen hat, erfährt sie durch eine Indiskretion, wer Reza ist.
Eine helle Kuh in einem weiten Gefängnishof
Der Film mit dem seltsamen Titel beginnt und endet mit einer Einstellung, in der eine helle Kuh in einem weiten Gefängnishof steht und links von männlichen, rechts von weiblichen Gefangenen betrachtet wird. Der Vorspann zitiert die zweite Koran-Sure, auch bekannt als Kuh-Sure, die von einer Kuh als notwendiger Opfergabe erzählt. Die Filmemacher definieren die gezeigte Kuh im Presseheft als Metapher für einen Unschuldigen, der zum Tod verurteilt ist.
Die minimalistische Inszenierung erzählt in ruhigen, oft statischen Bildfolgen von der Odyssee Minas, wobei die Beweglichkeit der Heldin im scharfen Kontrast zur Erstarrung der zynischen Bürokratie steht. Der Film kritisiert unmissverständlich die Praxis der Todesstrafe und des Sühnegelds, das ein Täter im Iran als Entschädigung für Angehörige des Opfers zahlen darf, argumentiert aber keineswegs plakativ oder polemisch. So kommen auch die staatlichen Befürworter der Todesstrafe im Iran zu Wort, der nach China das Land mit den zweitmeisten Exekutionen weltweit ist.
Überraschend ist, wie deutlich das Regie-Duo trotz der rigiden Zensur Gesellschafts- und Systemkritik übt. So sagt Mina einmal, dass auch Richter bestochen werden. Und die notorische Frauendiskriminierung in der Islamischen Republik wird am pointiertesten aufgespießt, wenn ein Makler Mina klar macht, dass alleinstehende Frauen keine Chancen auf eine Wohnung haben, ebenso wenig wie Hundebesitzer und Junkies. Der Film ist mit Unterstützung der Organisation „Brot für die Welt“ entstanden, die eng mit dem Evangelischen Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF) zusammenarbeitet, es stellt den Film 2022 für die nicht gewerbliche Filmarbeit bereit.
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