Der südafrikanische Journalist Mark Gevisser hat in über 20 Ländern Gespräche mit LSBTI-Menschen geführt. Seine persönlichen Reportagen dokumentieren deren Kämpfe, Erfolge und Rückschläge.
Die titelgebende „pinke Linie“, das ist für den Autor die Grenze, die das Leben der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen einschränkt, mit denen er über Jahre Kontakt gehalten hat – persönlich und auch über Facebook und Skype – und über die er schreibt.
Da sind etwa Zaira de la O Gómez und Martha Sandoval Blanco, ein lesbisches Paar aus dem mexikanischen Guadalajara. Die beiden haben sich Ende 2013 als erstes gleichgeschlechtliches Paar im Bundesstaat Jalisco trauen lassen und damit den Hass religiöser Eiferer auf sich gezogen. Jahrelang kämpfen sie vergeblich dafür, dass ihre Tochter Sabina sozial abgesichert und Martha als ihr zweiter Elternteil eingetragen wird. Doch in Jalisco sehen die Gesetze vor, dass in einer Geburtsurkunde nur Mutter und Vater eingetragen werden.
Abseits der sexuellen Norm: Von Malawi bis nach Indien
Im malawischen Blantyre sahen die Behörden 2010 die Hochzeitsfeier der beiden Männer Tiwonge Chimbalanga und Steven Monjeza als illegal an. Die Feier führte dazu, dass das Paar verhaftet und nach einem erniedrigenden Prozess zu 14 Jahren Haft und Zwangsarbeit verurteilt wurde. Tiwonge wurde zwar mit einem männlichen Körper geboren, fühlte sich aber als Mädchen und wurde so auch von ihrer Umgebung akzeptiert. Deshalb sah das Paar in der Hochzeitsfeier kein Problem. Tiwonge habe sich nie als schwuler Mann, sondern als Frau gefühlt, so Gevisser. Die US-Regierung, der britische Premier David Cameron und der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel drohten damit, Hilfsgelder für das bitterarme Land einzufrieren. So wurde das Paar bald freigelassen und konnte nach Südafrika ausreisen. Tiwonge lebt dort heute in einem Township bei Kapstadt. Dort lernt der Autor sie 2011 in einer Organisation für queere Geflüchtete kennen und verfolgt seither ihren weiteren Lebensweg.
Im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu freundet er sich mit einer Gruppe Kothis an, das sind junge Männer, die im Gegensatz zu Hijras, den traditionellen Angehörigen des dritten Geschlechts, nicht in städtischen Gemeinschaften, sondern auf dem Land leben. Kothis fühlen sich als Frauen, tragen dennoch Männerkleidung und streben anders als Hijras keine körperverändernden Eingriffe an. Sie leben mit Männern zusammen und sind als zwischengeschlechtliche Wesen geachtet. Doch als auch in Indien in den 2000er Jahren über LSBTI-Rechte und die gleichgeschlechtliche Ehe gestritten wird, sehen sie sich auf ihre sexuellen Vorlieben reduziert und erfahren Ausgrenzung in ihren Dörfern. Einige ziehen in die Großstadt, wo sie sich prostituieren oder betteln gehen.
Rechtlicher Anspruch und tatsächlicher Wandel
Wie Gevisser anhand vieler Beispiele zeigt, trennen unterschiedliche Positionen zu LSBTI-Themen Länder, Glaubensgemeinschaften, Parteien und nichtstaatliche Organisationen. Auch dort, wo sich Gesetzesreformen zugunsten der LSBTI-Community durchsetzen, bleibt noch eine Lücke zwischen dem rechtlichen Anspruch und dem tatsächlichen gesellschaftlichen Wandel. Zudem spricht der Autor an, dass die oftmals haarsträubende Situation von LSBTI in vielen Ländern auch eine Reaktion auf Aktivismus zu ihren Gunsten und auf entsprechende Erfolge in anderen Teilen der Welt sein kann.
Sein Epilog aber ist optimistisch. Gute Beispiele wie die Entkriminalisierung homosexueller Handlungen in Indien, Angola und Botswana zeugten von wachsendem Verständnis für diese Gruppe Menschen – ebenso Umfragen aus Nigeria, die besagten, dass die Ablehnung von Homosexuellen langsam abnehme.
Gevisser ist ein überzeugender Erzähler. Seine Kapitel sind zwischen Journalismus und Literatur, klassischer Auslandsreportage und engagiertem Essay angesiedelt. Der Autor hat ein Referenzwerk geschaffen, das breite Aufmerksamkeit verdient.
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