Technik schützt vor Raubbau nicht

In seinem Sammelband stellt der Politikwissenschaftler Robert Kirsch eine Umweltpolitik an den Pranger, die sich hauptsächlich auf technische Innovationen stützt. Dabei verbindet er den Umweltdiskurs mit der Klassenfrage.

Robert E. Kirsch: Limits to Terrestrial Extraction.Routledge, Abingdon/New York 2020,90 Seiten, ca. 49 Euro
Seit Jahr und Tag schürft, pumpt und meißelt die Arbeiterschaft aus dem Boden, was Wohlstand verspricht: Rohöl, mit dem Frachter die Weltmeere kreuzen, Kobalt, das saubere E-Autos antreibt, Coltan, ohne das kein Smartphone funktioniert. Doch die Ressourcen sind endlich, ihr Abbau ist oft extrem umweltschädlich. Hat dieses Wirtschaftsmodell, hat der Extraktivismus sein Ende erreicht?

Ja, stellen die Autoren des Sammelbandes fest. Nur habe die Politik es noch nicht begriffen. Stattdessen verenge sich der Blick der politisch Verantwortlichen allzu häufig auf das nächste technische Problem: Wie kann eine Batteriezelle noch länger laufen? Wie können ihre Bestandteile umweltschonender abgebaut werden? Es werde suggeriert, es gebe für jedes Umweltproblem eine technische Lösung. Ein Mythos, urteilen die Autoren.

Die Augenwischerei beginnt demnach mit dem Versprechen, wirtschaftliches Wachstum vom Raubbau am Planeten entkoppeln zu können. Mit dieser Annahme lässt sich die Systemfrage, die Umweltbewegungen früherer Tage stellten, bequem zugunsten einer „Politik des Möglichen“ beiseiteschieben. Die Autoren bezeichnen das als Ökopragmatismus: eine neue Denkart, die sich als technikbasiert, vorwärtsgewandt und frei von ideologischen Scheuklappen verkauft. Oder wie es ein im Buch zitierter Anhänger des Ökopragmatismus auf den Punkt bringt: „Wir wollen die Natur nicht vor, sondern mit dem Kapitalismus retten.“

Der neue Ökopragmatismus macht auch vor Kernenergie und Geoengineering nicht Halt. Und die Schätze des Planeten sollen für ihn weiter herhalten für die Mehrung des Reichtums – nur eben mit immer effizienteren Methoden. 

Robert Kirsch, der Herausgeber und Hauptautor des Bandes, fragt da: Wem kommt es zugute, wenn das Wirtschaftssystem, die „Megamaschine“, mit immer neuen Energieträgern gespeist wird? Wie viel vom Überschuss kommt bei jenen an, die die Maschine am Laufen halten? So verbindet er den Umweltdiskurs mit der Klassenfrage und stellt die Maxime des grenzenlosen Wachstums zur Disposition. Indem Kirsch auf diese Weise ökologische und marxistische Theorie verbindet, will er dem politikwissenschaftlichen Diskurs neue Impulse geben. Er denkt die ökologische Krise ganzheitlich und radikal, er denkt sie politisch.

Diese neue Denkart möchte der Sammelband etablieren. Die Beiträge selbst stehen dabei nur locker in Verbindung, einzig der Extraktivismus hält sie thematisch zusammen. Die Autoren richten sich in ihren Beiträgen, die aus einer Konferenz der Western Political Science Association hervorgegangen sind, vor allem an ein (politik)wissenschaftliches Publikum. Obgleich sie häufig das Geschehen in den USA in den Blick nehmen, sind ihre Argumente auch für den hiesigen Diskurs von Bedeutung. Denn auch die Europäische Union stellt in ihrer Klimapolitik nicht die Systemfrage, sondern baut ganz und gar auf die Innovationsleistung der heimischen Wirtschaft. Wer dieser Methode misstraut, wird im vorliegenden Band kluge Denkanstöße finden.

 

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