Dass 1804 nach dem Kampf gegen die Kolonialherren in Haiti eine unabhängige Republik entstand und die Haitianer damals die Sklaverei abschafften, ist hierzulande kaum bekannt. Der Sammelband erinnert an die nicht eingelösten Versprechen von damals.
In die Schlagzeilen westlicher Medien schafft Haiti es dann, wenn etwas schiefläuft oder Naturkatastrophen das Land treffen. Kaum bekannt ist, dass Haiti Schauplatz einer historisch einzigartigen Revolution war: 1791, zwei Jahre nach der Französischen Revolution, wagten die größtenteils afrikanischen Sklavinnen und Sklaven der damaligen französischen Kolonie Saint-Domingue eine Revolte gegen ihre Kolonialherren. Unter dem Revolutionsführer Jean-Jacques Dessalines gründeten sie 1804 eine unabhängige Republik und schafften die Sklaverei ab. Um dieses historische Ereignis kreist der von Katja Maurer und Andrea Pollmeier herausgegebene Sammelband.
„Haitianische Renaissance“ ist kein Geschichtsbuch im strengen Sinn. Die 20 jeweils auch einzeln lesbaren Analysen, Interviews und Kommentare werfen ein neues Licht auf die Gegenwart des Inselstaats. Dazu trägt bei, dass viele haitianische Intellektuelle und Kulturschaffende wie die Schriftstellerin Yanick Lahens und der Filmemacher Raoul Peck zu Wort kommen.
Einleitend zeigt die Kulturjournalistin Andrea Pollmeier, wie die Kolonialmächte dem neu gegründeten Inselstaat von Beginn an Steine in den Weg legten. Als Preis für die Teilnahme am Welthandel verlangte Frankreich von der haitianischen Regierung Reparationszahlungen in Milliardenhöhe für den verloren gegangenen Besitz – Geld, das für den Aufbau demokratischer Institutionen fehlte. Die Anerkennung dieser Schuldenlast bezeichnet Pollmeier als „Todesurteil über die Unabhängigkeit“.
Und doch bleibt von der haitianischen Revolution mehr als ihr Scheitern. Die haitianische Schriftstellerin Yanick Lahens bezeichnet sie nach der amerikanischen und der französischen Revolution als „dritte Revolution der Moderne“. Während in Frankreich und den USA die Deklaration von Menschen- und Bürgerrechten nicht als Widerspruch zu Sklaverei und Kolonialismus begriffen wurde, verwirklichte die haitianische Revolution ein „anderes Universalrecht“, unabhängig von Hautfarbe, Sprache und Kultur. Zu diesem Schritt seien Europa und die USA bis heute nicht bereit. Das von den haitianischen Revolutionären in die Welt gebrachte Gleichheitsideal erscheint als bis heute nicht eingelöstes Versprechen.
Es ließe sich auch gegen die humanitäre Hilfe nach dem Erdbeben in Haiti 2010 in Anschlag bringen. Denn die stand in vielerlei Hinsicht eher in der Tradition kolonialer Bevormundung als der Emanzipation. Die Bevölkerung wurde in den Entscheidungszentren der großen Hilfsorganisationen nicht gehört und örtliche Initiativen ignoriert, kritisiert Mitherausgeberin und medico international-Sprecherin Katja Maurer. Insgesamt gehe es der humanitären Hilfe zu wenig darum, die strukturellen Ursachen von Armut und Ausgrenzung zu überwinden. Der Anthropologe Mark Schuller bezeichnet die humanitäre Hilfe gar als „Widerspiegelung des Kolonialismus“ und als „postkoloniale Zeitbombe“. Derzeit wird auch in Hilfsorganisationen wieder über Rassismus und die Kontinuität kolonialer Denkweisen diskutiert. Auch für diese Debatte erscheint das lesenswerte Buch zur richtigen Zeit.
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