Bandenkriminalität hat El Salvador zum Land mit der höchsten Mordrate der Welt gemacht. William Wheeler zeichnet anhand eigener Recherchen und Interviews deren Entstehung und Denkmuster auf und zeigt, wie bislang alle Versuche scheiterten, den Gangs beizukommen.
In dem mittelamerikanischen Land beherrschen seit Jahrzehnten die Jugendbanden, die Maras, die Armenviertel. Den bekanntesten von ihnen, der Mara Salvatrucha (kurz MS-13) und der Mara 18, spürt der US-amerikanische Journalist William Wheeler nach. Ihre Ursprünge liegen in den Latino-Bezirken von Los Angeles, wo sich während des bewaffneten Konflikts der 1980er Jahre zigtausend Salvadoreños auf der Flucht vor der politischen Gewalt in ihrem Heimatland ansiedelten. Schon bald schlossen sich vor allem Jugendliche nach dem Vorbild der vor Ort schon lange organisierten mexikanischen Banden zusammen und fochten blutige Kämpfe untereinander aus. Weil die Polizei der kalifornischen Metropole das Treiben der Jugendlichen gezielt bekämpfte, wichen viele von ihnen in andere Bundesstaaten aus und verbreiteten so die Gangs über große Teile der USA. Kleidung und Tätowierungen übernahmen sie von den mexikanischen Vorbildern.
1993, nach dem Ende des Bürgerkrieges in El Salvador, ließ US-Präsident Bill Clinton Tausende illegale Flüchtlinge nach El Salvador repatriieren, vor allem jene mit einschlägiger krimineller Vorgeschichte. Mit den salvadorianischen Behörden teilten die USA deren Strafregister nicht. So waren sie auf das plötzliche Erstarken des Bandenwesens nicht vorbereitet.
Zwei Präsidenten der rechten Arena-Partei – Francisco Flores und Antonio Saca – gewannen 1999 beziehungsweise 2004 ihre Wahlen mit dem Versprechen, der Gewaltkriminalität mit schonungsloser Härte („mano dura“) zu begegnen. Wie Wheeler zeigt, fehlte es ihnen aber sowohl an einem umfassenden Konzept als auch an sozialen Begleitmaßnahmen, die den Bandenmitgliedern realistische Alternativen angeboten hätten. Gleichzeitig schickten die USA weiterhin kriminelle Migranten, die durch die liberale US-Waffenpolitik bestens mit Feuerwaffen ausgestattet waren, zurück nach El Salvador. Kein Wunder also, dass die Bestrebungen scheiterten.
Die Wahl des ehemaligen Fernsehjournalisten Mauricio Funes von der linken FMLN weckte Erwartungen, dass in der Kriminalitätsbekämpfung Alternativen zur reinen Repression zum Zuge kommen würden. Tatsächlich nahm die Regierung zunächst geheime Verhandlungen mit den inhaftierten Bossen der Maras auf. Diesen Prozess beschreibt Wheeler, der unter anderem für die „New York Times“, das „Time Magazine“ und die außenpolitische Zeitschrift „Foreign Affairs“ schreibt, so detailliert und entlarvend wie noch kein Autor vor ihm. Er stützt sich dabei auf Interviews mit Beteiligten auf höchster Ebene. So wurden den gefangenen Mareros auf Geheiß von Verteidigungsminister David Munguía Payés ab 2012 nicht nur Hafterleichterungen gewährt. Sie bekamen auch Mobiltelefone und konnten ihr auf Erpressung von Schutzgeldern basierendes Geschäft vom Gefängnis aus weiter steuern. Dass sich die Zahl der Morde nach einem in den Medien gefeierten Gewaltverzichtsabkommen schlagartig halbierte, galt als Beweis, dass eine politische Lösung möglich war. Wie sich später herausstellen sollte, wurden aber kaum weniger Menschen umgebracht, nur verscharrten die Banden die Leichen unauffällig, anstatt sie wie zuvor üblich auf der Straße liegen zu lassen. Erst Jahre später wurden Dutzende Opfer jener Zeit exhumiert.
Besonders erschreckend bei der Lektüre des Buches sind auch die Verstrickungen zwischen Politik, Militärs, Drogenbanden und Maras, die der Autor – belegt durch Interviews mit Beteiligten – schildert. Damit gehört der schmale Band zum Besten, was in den letzten Jahren über El Salvador geschrieben wurde. Auch oder gerade weil er jene ernüchtert zurücklässt, die gehofft hatten, unter der FMLN würde politische Korruption zumindest verringert.
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