Die facettenreiche Sammlung afrikanischer Prosa und Lyrik gewährt Einblicke in das vielschichtige Werk von Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Kontinents.
Das Buch erscheint zum richtigen Zeitpunkt: Während Reisen nach Afrika momentan nicht möglich sind, ermöglicht die von Anita Djafari und Manfred Loimeier herausgegebene literarische Sammlung Begegnungen mit den Menschen, die dort leben. Namhafte Autorinnen wie Mariama Bâ aus dem Senegal und Ama Ata Aidoo aus Ghana kommen ebenso zu Wort wie jüngere und weniger bekannte Wortkünstlerinnen, beispielsweise die Äthiopierin Maaza Mengiste oder die Südafrikanerin Koleka Putuma. Auch der preisgekrönte kenianische Autor Ngũgĩ wa Thiong’o und die renommierte nigerianische Literatin Sefi Atta fehlen nicht.
Biografische Angaben weisen auf Flucht und Verfolgung der Schriftstellerinnen und Schriftsteller hin, dokumentieren deren Aufwachsen in verschiedenen Kulturen und ihre universitäre Ausbildung in den Städten der früheren Kolonialstaaten. So lassen sich die insgesamt dreiundzwanzig Texte besser verstehen und einordnen. Etliche Werke zeugen vom ruhelosen Unterwegssein, dem Status als Gast in der eigenen Herkunftsfamilie und dem Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz zu den eigenen Wurzeln.
Vor 40 Jahren, im Herbst 1980, widmete sich die internationale Frankfurter Buchmesse erstmals der afrikanischen Literatur. Es war bis heute das einzige Mal, und der ganze Kontinent südlich der Sahara wurde zum Gastland erkoren. Wie Djafari und Loimeier betonen, haben aber Länder wie Nigeria oder Südafrika reiche Literaturszenen und könnten mühelos allein die jährliche Bücherschau am Main bestreiten. Immerhin kommen aus diesen Ländern Literaturnobelpreisträger wie Wole Soyinka oder John Maxwell Coetzee. In diesem Sinne trägt die neue Anthologie von Djafari und Loimeier zu einer stärkeren Präsenz afrikanischer Literatur im Verlagsgeschäft bei.
Thematisch sind die Geschichten geprägt von den Folgen des Kolonialismus und der Siedlerherrschaft im südlichen Afrika. Sie reichen von Portugiesinnen, die sich nach der politischen Unabhängigkeit in ihren Wohnungen verbarrikadieren, nicht vor Diebstahl bei den schwarzen Nachbarn zurückschrecken oder wie ruhelose Geister in ihren früheren Farmgebäuden erscheinen, bis zu surrealen und grotesken Begebenheiten. Zu letzteren zählt ein gemeinsamer Restaurantbesuch weißer und schwarzer Geschäftspartner in Südafrika, wo Speisen und Maskengesichter für Irritationen sorgen. In einer weiteren Geschichte geht es um den Egozentrismus dortiger weißer Hausfrauen. In einer anderen befremdet der Übereifer einer US-Amerikanerin, die aus Liebe zu Afrika nach Botsuana kommt und sich dort in Dinge einmischt, die sie nichts angehen. Überhaupt gibt es viele Frauenfiguren, die den Leserinnen und Lesern ihre familiären Sorgen anvertrauen. Neben privaten Erlebnissen thematisieren etliche Texte Korruption und Willkür von Polizei und Justiz sowie Gewalt und Krieg. Abgrundtiefe Verzweiflung und rettende Mitmenschlichkeit liegen dann oft eng beieinander.
Die Herausgeber der Anthologie verweisen auch auf die Übersetzungsleistungen des Vereins Litprom zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Er ermöglicht der hiesigen Leserschaft Zugang zu außereuropäischen Romanen und Kurzgeschichten in deutscher Sprache – oft in Taschenbuchform zu erschwinglichen Preisen. Der größte Teil der Belletristik wird aus dem Englischen, Französischen oder Portugiesischen übersetzt. Demgegenüber fehlen Texte, die in afrikanischen Sprachen verfasst wurden. Ein Dilemma – auch mit Blick auf die Dekolonisierung der Literatur. Bleibt zu hoffen, dass solche Werke in naher Zukunft in deutscher Übersetzung zu finden sind und auf diese Weise neue kulturelle Brücken bauen.
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