Die neuseeländische Journalistin Anna Fifield porträtiert Nordkoreas „Führer“ Kim Jong-un als gewieften Machtpolitiker.
Westliche Medien beschreiben Kim Jong-un häufig als Verrückten mit der Bombe. Eine neue Biografie der neuseeländischen Autorin Anna Fifield korrigiert nun dieses Bild. Sie zeichnet das Leben des 36 Jahre alten Diktators so genau nach wie bisher noch kein anderer Autor. Überdies gewährt ihr Buch seltene Einblicke in ein abgeschottetes Land.
Die neue Biografie ist leicht lesbar. Laien bietet sie einen guten Überblick über Kims Aufstieg und die jüngere Geschichte seines Landes. Sachkundige dürften die vielen neuen Fakten freuen, die Fifield hartnäckig recherchiert hat. Etwa, dass Kim in Luxus, aber abgeschottet und ohne Kontakt zu Kindern in den Residenzen seines Vaters Kim Jong-Il aufwuchs, während außerhalb der Mauern Hunderttausende verhungerten. Der Vater sah seinen jüngsten Sohn früh als möglichen Nachfolger. Eine halbwegs normale Jugend habe Kim nur in Bern erlebt, wo er von 1996 bis 2001 unter falschem Namen bei einer Tante in einem einfachen Haus wohnt und örtliche Schulen besuchte. Ehemalige Mitschüler, mit denen die Autorin sprach, beschreiben ihn als Sonderling: Er redete wenig, trug Air Jordans und Adidas-Trainingsanzüge statt Jeans, die in Nordkorea als Symbol für die verhassten Kapitalisten gelten. Er wurde aggressiv, wenn es ihm nicht gelang, sich in Deutsch auszudrücken. Selbst seine Tante nennt ihn gegenüber der Autorin einen „Sturkopf“, ein auf Diktatoren spezialisierter Psychologe einen „Narzissten“.
Besonders überzeugen die analytischen Passagen des Buches. So avancierte der erst 27 Jahre alte Kim nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2011 zum Obersten Führer Nordkoreas. Er hatte laut Fifield schlechte Voraussetzungen, um in einem Land an der Macht zu bleiben, das Alter und Erfahrung hochschätzt. Doch er habe sich als geschickter Machtpolitiker erwiesen. So tritt er von da an stets im Mao-Anzug und mit Pompadour-Frisur auf. Die Aufmachung erinnert an seinen charismatischen Großvater Kim Il-sung, der die Volksrepublik 26 Jahre lang diktatorisch regierte.
Schon bald hat er sämtliche Rivalen ausgeschaltet. Unter ihnen ist sein Onkel Jang Song-thaek, den ein Sondergericht zum Tod verurteilt. Im Februar 2017 lässt Kim seinen im Exil lebenden Halbbruder Kim Yong-nam auf dem Flughafen in Kuala Lumpur mit Nervengift ermorden. Beim Volk punktet der Diktator, indem er erstmals eine Energie- und Lebensmittelknappheit einräumt und kleine wirtschaftliche Reformen zulässt: Händler dürfen DVD-Player importieren, Friseure Salons eröffnen und Frauen auf über 400 Märkten Reiskekse oder Gurken verkaufen. Heute besitzen laut Fifield zehn Prozent der Nordkoreaner Smartphones, jeder zweite Städter hat ein „Notel“, ein Mix aus Notebook und TV-Gerät.
Mit Hilfe der neuen Atomwaffen habe sich Kim Rückhalt beim Militär und bei vielen Landsleuten verschafft. Daneben setze er auf Unterdrückung. So habe er das kastenähnliche Songbun-System aus dem 14. Jahrhundert übernommen. Es teile die Bevölkerung in drei Klassen ein: loyal, schwankend und feindlich gesinnt. Die loyalen 15 Prozent belohne das System mit Privilegien wie dem Zugang zu Markenkleidern oder Wohnungen in den Hochhäusern von Pjönghattan. 40 Prozent gehörten dagegen zu den „Feinden“, etwa Christen oder Skeptiker. Sie schufteten in Kolchosen oder Fabriken im unwirtlichen Norden. Alle lebten in Angst vor dem Absturz, denn Spitzel lauerten überall.
Gefahr drohe dem jungen Diktator nur von seiner Gesundheit: Kim sei übergewichtig, Raucher, dem Alkohol zugeneigt und leide an Kurzatmigkeit, Gicht und vermutlich auch Diabetes. Trotz allem hat das Buch kleine Schwächen. So lässt es im Unklaren, wieso China Kim stützt, obwohl sein Atomprogramm und die Hinrichtung seines chinafreundlichen Onkels die Machthaber in Peking verärgert hätten. Wer mehr über Nordkorea wissen will, kommt an dieser Biografie aber nicht vorbei.
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