Keine Gesetze, brutale Herrscher: Die Politikwissenschaftlerin Anna Krämer untersucht, was unsere Bilder von afrikanischen Staaten mit dem Kolonialismus zu tun haben.
Korruption, ethnische Konflikte, Gewalt: Das sind nur einige der negativen Attribute, die hiesige Journalisten und Wissenschaftler afrikanischen Staaten zuschreiben. Der Politikwissenschaftlerin Anna Maria Krämer zufolge zeigt sich in solch einseitigen Bildern eine mehr als 200 Jahre zurückreichende Kontinuität kolonialer Ideologien. In ihrem Buch verfolgt sie die im globalen Norden vorherrschenden Vorstellungen und Diskurse über afrikanische Staaten von der bürgerlichen Philosophie der Aufklärung bis in die Gegenwart. Dabei liefert sie keine eigene empirische Analyse, sondern zeichnet den westlichen Diskurs über afrikanische Staaten nach.
Relevant ist diese Rekonstruktion Krämer zufolge dennoch, weil die Erzählungen auch beeinflussen, wie westliche Regierungen und Geber auf dem afrikanischen Kontinent intervenieren. Der entwicklungspolitische motivierte Aufbau von effektiven und transparenten bürokratischen Organisationen etwa stehe in einem engen Zusammenhang mit dem Konzept des Staatsscheiterns.
Den Ausgangspunkt für Narrative über Afrikas Staaten verortet die Politikwissenschaftlerin in der bürgerlichen Philosophie des 18. Jahrhunderts, insbesondere im Denken von Kant und Hegel. Hegel etwa beschreibe den afrikanischen Kontinent als ein „chaotisches Ganzes“, dessen Staaten nicht durch eine Verfassung, sondern nur durch Gewalt zusammengehalten werden könnten; demgegenüber kontrastiere er Europa als aufgeklärt, stark und nach Gesetzen organisiert. Diese Bilder beruhten, wie Krämer schreibt, allein auf der Verallgemeinerung anekdotischer Erzählungen von Reisenden und Forschern.
Interessant ist, dass die Politikwissenschaftlerin auch auf Widersprüche und Ambivalenzen in den Denksystemen hinweist. Kant etwa kritisiere in mehreren Schriften den europäischen Kolonialismus; gleichzeitig beschreibe er den republikanischen Staat als einzig vernünftige Form politischer Organisation und afrikanische Gesellschaften als unterentwickelt und minderwertig. Damit habe Kant – zumindest implizit – einen „geistigen Rahmen“ für den Kolonialismus des 19. Jahrhunderts geschaffen.
Im darauffolgenden Kapitel untersucht Krämer die Diskurse über afrikanische Staaten rund um die Westafrika-Konferenz in Berlin, zu der der deutsche Reichskanzler Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts eingeladen hatte, um die Handelsfreiheit in Kongo und Niger zu regeln und auf der Regeln für die Kolonisierung Afrikas durch die europäischen Mächte ausgehandelt wurden. Die Autorin zeigt unter anderem, wie Politiker und Diplomaten koloniale Gräueltaten mit der Unterscheidung zwischen zivilisierten (europäischen) und unzivilisierten (afrikanischen) Nationen begründeten.
Zuletzt wendet sich Krämer aktuellen wissenschaftlichen Diskursen über afrikanische Staaten zu. Der Literatur über „Gescheiterte Staaten“ sowie den – von Max Webers Unterscheidung verschiedener Herrschaftsformen inspirierten – Neopatrimonialismus-Theorien wirft sie vor, afrikanische Staatlichkeit von vornherein als Abweichung von einem westlichen Idealbild zu untersuchen. Zudem werde der Kolonialismus bei der Entstehung und Beurteilung afrikanischer Staaten ausgeblendet. Dass zumindest Vertreter von Neopatrimonialismus-Theorien durchaus auf die Rolle der Kolonialmächte bei der Einsetzung traditioneller Herrscher verweisen, lässt Krämer allerdings unter den Tisch fallen.
Die Sprache ist leider stellenweise etwas gestelzt und technisch. Lohnend ist die Lektüre dennoch, weil sie dazu anregt, eigene Bilder und Vorstellungen von afrikanischer Staatlichkeit zu hinterfragen. Geeignet ist das Buch vor allem für theorieaffine Leserinnen und Leser.
Neuen Kommentar hinzufügen