Sakralisierung des Staates

Die Politikwissenschafterin Farhat Haq belegt in ihrer großartigen Untersuchung der pakistanischen Blasphemiegesetze, dass die in ihrer Rigidität ein modernes Phänomen sind und kein Relikt aus einer traditionellen Gesellschaft.

Wer den Propheten Mohammed beleidigt, muss in Pakistan schlimmstenfalls mit der Todesstrafe rechnen. In keinem anderen muslimischen Land der Welt, so die Autorin, hängen die Blasphemiegesetze wie ein Damoklesschwert über dem gesamten öffentlichen Leben.

Denn der Vorwurf der Gotteslästerung wird häufig auch benutzt, um politische Gegner oder auch nur unliebsame Nachbarn zu bedrohen. Die in Pakistan geborene und in den USA lehrende Politikwissenschaftlerin Farhat Haq zeigt detailliert und überzeugend, dass es sich um ein modernes Phänomen handelt und kein Relikt der islamischen Rechtstradition.

Das ursprünglich aus Indien stammende Gesetz geht auf die britische Kolonialzeit zurück. Ursprünglich von den Kolonialherren erlassen, um die christliche Minderheit in Indien zu schützen, standen Blasphemiegesetze in Pakistan bis in die 1990er Jahre bloß auf dem Papier. Nach der Unabhängigkeit Pakistans wurde die Beleidigung Mohammeds dann unter Diktator Mohammed Zia ul-Haq mit der Todesstrafe belegt. Der eigentliche Wendepunkt kam 2011. In dem Jahr wurde der Gouverneur des Punjab ermordet, der sich für die Abschaffung der Gesetze eingesetzt hatte. Sein 2016 hingerichteter Mörder wird heute von Teilen der Bevölkerung wie ein Heiliger verehrt. Seitdem kommt es immer wieder vor, dass islamistisch orientierte Mobs Menschen töten, weil sie vermeintlich gegen das Gesetz verstoßen haben.

Farhat Haq zeigt, dass die Blasphemiegesetze heute einen sakralen Status genießen, den es so in der vormodernen Sharia-Gesetzgebung nicht gab. Während die Rechtsgelehrten traditionell einen Unterschied zwischen dem Willen Gottes (Sharia) und seiner menschlichen Interpretation (fiqh) machten, überhöht der moderne pakistanische Staat die Blasphemiegesetze als göttlich legitimiert. Deshalb gelingt es Kritikern auch nicht, die Gesetze zu reformieren, obwohl einige säkular orientierte Politiker dies mehrfach versprochen haben.

Das Buch ist für ein wissenschaftliches Werk gut verständlich geschrieben. Mit einer Fülle von Details zur Politik in Pakistan und zur Instrumentalisierung der Blasphemiegesetze durch islamistische Gruppierungen kann Farhat Haq so manches Missverständnis über Sharia und Politik in dem asiatischen Land ausräumen. Die islamische Welt ist nicht per se engstirnig. Warum eine über Jahrhunderte tolerante Kultur sich heute zu großen Teilen rigide verengt hat, macht die Autorin am Beispiel Pakistan gut nachvollziehbar.

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