Ariel I. Ahram diskutiert in seinem Buch die separatistischen Bewegungen der arabischen Welt. Ihre Absichten, neue Staaten und Grenzen in der krisengeschüttelten Region zu schaffen, stehen in einer langen Tradition und wurden oft von westlichen Interessen benutzt.
Mit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings im Winter des Jahres 2010 hofften viele auf einen kulturellen und gesellschaftlichen Neuanfang in der Region. Doch schon bald erkannten die Reformer, dass sich ihre demokratisch-egalitären Visionen für den Nahen Osten so schnell nicht umsetzen ließen. Ariel I. Ahram, Professor an der Virginia Tech School und ehemaliger Fellow am angesehenen Wilson Center, sieht in der im Jahr 2011 einsetzenden allgemeinen Ernüchterung einen weiteren Wendepunkt in der Geschichte der arabischen Staaten.
Nach den desaströsen westlichen Interventionen in Afghanistan, im Irak und in Libyen und den beginnenden Stellvertreterkriegen im Jemen und in Syrien, wo sich Baschar al-Assad dank russischer, iranischer und chinesischer Unterstützung an der Macht halten konnte, sahen die vormals chancenlosen Separatistengruppen vor Ort ihre Chance gekommen. Sie stellten nationale Identitäten und politische Grenzen erneut in Frage – auch mit Waffengewalt.
Anhand detaillierter Analysen der Terrormiliz des sogenanten Islamischen Staats (IS), von Separatistenbewegungen in Ostlibyen und im Jemen sowie von kurdischen nationalistischen Parteien erklärt Ahram anschaulich, wie Separatisten zuerst Territorien eroberten und dann die Verwaltung in ihrem Sinne veränderten. Ausdrücklich hebt der Autor hervor, dass diese separatistischen Bewegungen keinesfalls Opportunisten sind, die auf einmal und aus dem Nichts auf der politischen Bühne des Nahen Ostens erschienen. Vielmehr hätten viele von ihnen eine lange Geschichte und hätten sich (Ausnahme: IS) bereits in der Vergangenheit vom Erbe des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson inspirieren lassen: Sie beriefen sich damals wie heute auf dessen Ideal von der Selbstbestimmung der Völker.
Die heutigen Separatistengruppen kämpfen laut Ahram um eine Autonomie, die ihnen bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts zugesagt, dann aber immer wieder vorenthalten wurde. Obwohl beispielsweise die Kurden in Syrien und im Irak als wichtigste Verbündete des Westens gegen radikalislamische Gruppen wie den IS oder auch die al-Nusra-Front kämpfen, bleiben ihre Hoffnungen auf internationale Anerkennung nach wie vor unerfüllt.
Für den zukünftigen Wiederaufbau der Region und die Wiederherstellung einer Ordnung wird es laut Autor von entscheidender Bedeutung sein, ob Wege gefunden werden, separatistische Bewegungen zu integrieren, statt sie zu unterdrücken. Dass US-Präsident Donald Trump jüngst beschlossen hat, die US-Truppen aus Syrien abzuziehen und die Kurden gegen die anrückende türkische Armee im Stich zu lassen, nachdem kurdische Kämpfer über Jahre der verlässlichste Partner des Westens gegen den IS gewesen sind, ist ein Beleg für Ahrams These.
Der Autor präsentiert uns eine wichtige Studie, die in ihren historischen Analysen, ihrem Gegenwartsbezug und in ihrer vielseitigen Methodik besticht. Durch seine komparatistische Herangehensweise kann Ahram überzeugend aufzeigen, wie sehr die Interessen der zahlreichen Separatistengruppen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts imperialen Interessen untergeordnet und letztlich regelmäßig enttäuscht wurden.
Statt Separatisten also weiterhin zu instrumentalisieren und sie regelmäßig zu enttäuschen, muss die internationale Politik eine Wende einleiten und in Zukunft in einen Dialog mit ihnen treten, um die Region davor zu bewahren, ins totale Chaos zu fallen.
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