Wie Kinder zu Terroristen werden

In ihrem Buch analysieren Mia Bloom und John Horgan, wie Kinder von Terrororganisationen aufgespürt und für ihre Zwecke benutzt werden. Die umfassende wissenschaftliche Analyse ist verständlich geschrieben und dennoch keine leichte Kost.

Als die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) 2015 ein Propagandavideo veröffentlichte, in dem Kinder Erwachsene exekutieren, wurde deutlich, welche Macht die Terrororganisation über Kinder hat. Und doch ist der IS nicht die erste und erst recht nicht die einzige Terrororganisation, die Minderjährige rekrutiert. In ihrem Buch richten die kanadische Wissenschaftlerin Mia Bloom und der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist John Horgan ihren Blick über den IS hinaus auf Terrorgruppen aus Nigeria, Pakistan, Afghanistan und dem Nahen Osten.

Für alle gilt: Mädchen und Jungen sind einfacher zu manipulieren und können, weil sie kein Misstrauen auf sich ziehen, in stark abgesicherten Gebieten Anschläge verüben. Innerhalb der Gruppe reichen ihre Positionen vom Spitzel bis hin zum Selbstmordattentäter, der nach seinem Tod als Held gefeiert wird. Ihr Einsatz soll auch die Erwachsenen der Gruppe motivieren: Wenn die Kleinen ihren „Pflichten“ nachkommen, müssen die Großen nachziehen.

Ein weiterer Abschnitt des Buches widmet sich den verschiedenen Möglichkeiten, Kinder zu rekrutieren. Meist drängen äußere Umstände wie etwa der Verlust der Eltern oder existenzielle Armut sie dazu, sich der jeweiligen Organisation anzuschließen, oder die Familie wird von einer in ihrem Gebiet vorherrschenden Gruppe dazu gepresst, eines ihrer Kinder in den „Kampf“ zu schicken. Andere Kinder schließen sich den Gruppen an, weil sie sich von ihnen Ruhm versprechen, die sie in ihrem sozialen Umfeld nicht bekommen. In manchen Gebieten beeinflussen die jeweiligen Terrororganisationen auch, was in den Schulen gelehrt – und verherrlicht – wird.

Einmal in das terroristische System integriert, ist es den Kindern kaum möglich, wieder auszutreten, berichten Bloom und Horgan. Das liegt auch daran, dass die Organisationen sie von ihrem früheren Umfeld komplett isolieren oder sie sogar dazu zwingen, eben dort Gräueltaten zu verüben, damit sie nicht zurückkehren können. Gelingt es ihnen doch zu fliehen, sind sie nicht nur traumatisiert, sondern nach wie vor stark vom Weltbild und der Ideologie der Terrororganisation geprägt. Das macht es noch schwieriger, in den jeweiligen Regionen irgendwann wieder Frieden herzustellen.

Das Buch beleuchtet das Problem von vielen Seiten und bezieht auch die Rolle der erwachsenen Kämpfer und von Kindern eingewanderter westlicher Terroristen mit ein.

Die Sprache ist nüchtern, anschaulich und gut verständlich, und die Texte werden von Bildmaterial, zum Beispiel aus Schulbüchern des IS, ergänzt. Die Autoren schöpfen dabei ihr Wissen aus Statistiken, Literatur und Fallstudien verschiedener Fachbereiche. An manchen Stellen gehen sie sehr ins Detail und berichten von etlichen Terrororganisationen, manche Fakten werden auch ein paar Mal wiederholt. Die Lektüre ist nicht leicht, aber spannend.

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