Jazz ist Freiheit

Muslime und Jazz? Geht das zusammen? Es geht, wie der Dokumentarfilm von Atef Ben Bouzid zeigt. Darin porträtiert er den Jazzmusiker Amr Salah, der 2009 das Jazzfestival Kairo ins Leben rief und seitdem unter großen Anstrengungen organisiert.

Der ägyptische Pianist und Komponist Amr Salah ist ein Idealist, Optimist und Organisationsgenie. Ohne ihn wäre das Jazzfestival in der ägyptischen Hauptstadt nicht entstanden oder längst wieder eingeschlafen. Mit seinem unermüdlichen Engagement hält er das Kulturevent am Leben, begeistert immer wieder ehrenamtliche Mitarbeiter, gewinnt Jazzbands aus aller Welt für Auftritte und überwindet mit einem Minibudget, das sich vor allem aus Zuwendungen von Botschaften und Kulturinstitutionen speist, Jahr für Jahr organisatorische und bürokratische Hürden.

Der Journalist, Autor und Regisseur Atef Ben Bouzid, der in Berlin geboren wurde und tunesische Wurzeln hat, lernte Salah 2002 in Kairo kennen und ließ sich von dessen Enthusiasmus begeistern. Nachdem Ben Bouzid das Festival mehrmals besucht hatte, entwickelte er 2013 die Idee zu einem filmischen Porträt des musikalischen „Überzeugungstäters“ Amr Salah. Es dauerte vier Jahre, bis er den Film ohne Förderung oder TV-Sender selbst drehen konnte.

Die unabhängige Produktion entstand vor Ort unter schwierigen Bedingungen. Die zuständige Behörde genehmigte nach langwierigen Bemühungen gerade mal einen Drehtag, und auch das nur für Innenaufnahmen. Dennoch gelang es den Kameraleuten Francesca A. Andrade und Michael Brain, viele lebhafte Eindrücke des turbulenten Lebens auf Kairos Straßen festzuhalten und die mühsame Vorbereitung des Festivals und die lebensfrohen Auftritte der Jazzmusiker sowohl drinnen als auch im Freien zu dokumentieren.

Der Film begleitet Salah während der letzten drei Wochen vor dem Festivalstart zu Projektbesprechungen und Konzerten, Behördengängen und nach Hause. Diese Eindrücke und Salahs Aussagen kombiniert der Regisseur mit Statements von Jazzmusikern aus aller Welt, Mitarbeitern, Unterstützern, Bühnenmanagern, Musiklehrern und nicht zuletzt Salahs Eltern. Vor allem seine Mutter, eine ehemalige Klavierlehrerin, gibt mit anschaulichen Erinnerungen Einblicke in die persönliche Entwicklung ihres Sohnes.

Dabei wird nach und nach deutlich, dass Salah sich nicht vorrangig als Festivaldirektor versteht, sondern vor allem als Musiker und Jazzfan. Schließlich gibt er zwischen den Festivalausgaben eigene Konzerte und komponiert neue Stücke. „Jazz ist mehr als nur ein Musikstil, es geht um die Freiheit“, sagt Salah im Film. Für ihn ist Jazz sein Lebensinhalt. Und er verfolgt damit ein wichtiges soziales Anliegen: Er will die Jugend an die Jazzmusik heranführen. Was ihm, wie es aussieht, auch gelingt. Der Jazz steht in seinen Augen zudem für eine liberale und offene Gesellschaft, für die es sich zu kämpfen lohnt.

„Cairo Jazzman“ vermeidet es, die politischen Umwälzungen seit den Massenprotesten gegen den 2011 gestürzten Langzeitmachthaber Hosni Mubarak und der Absetzung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär 2013 direkt zu thematisieren. Dennoch bildet der Film die Langzeitfolgen dieser Auseinandersetzungen ab. So etwa, wenn er die Widerstände zeigt, auf die Salah immer wieder stößt, zum Beispiel wenn nur sechs Tage vor Festivalstart ein zentraler Veranstaltungsort plötzlich nicht mehr zur Verfügung steht. Dann beweist Salah, wie gut er improvisieren kann.

Angesichts solcher Rahmenbedingungen ist es umso erstaunlicher, dass sich ein Abteilungsleiter des Tourismusministeriums vor der Kamera befragen lässt und ein Kulturfunktionär offen beklagt, wie misstrauisch die staatlichen Institutionen Kulturschaffenden gegenüberstehen. Wenn am Ende das Festival doch über die Bühne geht, ist nicht nur Salah erleichtert, auch seine Eltern sind glücklich – und die Zivilgesellschaft zeigt, dass sie lebt.

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