Die mexikanische Autorin Fernanda Melchor gilt als große Literatin. Ihr Roman gleicht aber an vielen Stellen eher einer pornografischen als einer literarischen Schrift und wird auch dem Thema der Gewalt gegen Frauen nicht gerecht.
Ohne Punkt und mit vielen Kommata: So lässt sich der Schreibstil von Fernanda Melchor beschreiben. Denn die 1982 geborene mexikanische Autorin reiht in sich seitenlang schlängelnden Bandwurmsätzen Gedanken an Gedanken. Viele davon sind Assoziationen ihrer Romanfiguren, aus deren unterschiedlichen Perspektiven sie im Wechsel erzählt. Ihr Roman ist düster, das Dasein ihrer Protagonisten durchweg trostlos, und der Kristallisationspunkt all des Dunklen ist das Haus einer „Hexe“ in einem fiktiven mexikanischen Dorf namens La Matosa.
Melchor beschreibt dieses Haus als abstoßenden Bau hinter einer Zuckerrohrfabrik, der an den Panzer einer toten Schildkröte erinnert. Die Küche ist verschimmelt, Gerümpel und Abfalltüten verstopfen die Zimmer. Hier wirkt die Hexe, stets schwarz gekleidet, als Heilerin, und ist dabei umwoben von schwarzer Magie. Hier braut sie zusammen, was Menschen in etlichen Notsituationen helfen soll – beispielsweise verhilft ein Trank ungewollt Schwangeren zur Abtreibung. Die ohnehin bizarr anmutende „Hexe“ hat ihr ganz persönliches Geheimnis: Eigentlich ist sie ein Mann - eine, wie es im Roman heißt, „Scheißschwuchtel“, eine „Tunte“. Mit jungen Männern aus der Gegend feiert sie im Keller ihres Hauses, der einer Gruft ähnelt, Partys mit Bier, Schnaps und Drogen und bezahlt sie für Sex. Ihre in Wahrheit eher klägliche Existenz kostet sie das Leben: Sie wird ermordet. Darum rankt sich die gesamte Geschichte.
Melchors Thema ist die frauenverachtende Kultur ihres Heimatlandes. Ob aber eine solche Romanfigur geeignet ist, auf das dramatische Ausmaß der Gewalt gegen Frauen in Mexiko hinzuweisen, darf bezweifelt werden. Die außerordentlich hohe Mordrate an Frauen zeigt, dass diese oftmals allein deshalb zum Ziel von Gewalt werden, weil sie Frauen sind. Ähnlichkeit mit der „Hexe“ des Romans haben die allerwenigsten realen Opfer.
Bei allem benutzt die Autorin – von Kritikern als „wortgewaltig“ gefeiert – eine Sprache, die von Gewalt durchzogen ist, um die alles durchdringende Gewalt in ihrer Gesellschaft spürbar zu machen. Melchor schreibt so, wie Menschen, brutalisiert durch brutale Verhältnisse, denken, fühlen und handeln. Und sie überspitzt das Hässliche, Monströse noch: So wird etwa ein Säugling zum „verrunzelten, plärrenden Gnom“. An anderer Stelle erwähnt die Autorin fast beiläufig, dass eine Mutter ihre Kinder erschlagen hat, weil sie sie für Vampire hielt. Zwischen all dem Blut, das Melchor auf den Romanseiten spritzen lässt, fällt das kaum noch auf. Der Grat zwischen der schonungslosen Beschreibung von Gewalt – darunter auch Kindesmissbrauch – als Anklage und deren verbaler Reproduktion ist aber schmal.
Manchmal blitzt mitten in der grausamen Welt, in der Melchors Figuren leben, etwas Poetisches auf – etwa wenn eine 13-Jährige, die nach einer Abtreibung fast verblutet ist, an die Berge ihrer Heimat denkt, „bläuliche, mit Pinien und Kastanienbäumen gesprenkelte Hänge“. Doch mit solchen Momenten, die Identifikation erlauben, versetzt Melchor ihre Leser noch tiefer hinein in unerträgliche äußere und innere Verhältnisse.
Sie verzichtet dabei nicht nur auf Punkte am Satzschluss, sondern auch auf Grenzsetzung: Die Sprache fließt ungehemmt, ungebremst über alle Schranken hinweg. Kraftvoll, oft aber roh und obszön. Auch mit langen Passagen, die man mit Fug und Recht pornografisch nennen könnte und deren literarische Qualität mehr als zweifelhaft scheint, bricht Melchor Tabus. Selbst vor detaillierten, heftigen kinderpornografischen Szenen schreckt sie nicht zurück. Die Verbreitung kinder- und jugendpornografischer Schriften oder überhaupt von pornografischen Inhalten, wenn Minderjährige Zugang dazu erlangen könnten, ist aber verboten. Das sollte nicht im Namen von „großer Literatur“ ausgehebelt werden. Der wortgewaltige Stil der Fernanda Melchor verkommt hier zu Wort-Gewalt.
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