Der Weg zur Weltgesundheit

Der australische Politikwissenschaftler Jeremy Youde erläutert in seinem Buch, wie sich die Gesundheitspolitik innerhalb der letzten 30 Jahre von einem Nebenaspekt zu einem zentralen Feld internationaler Zusammenarbeit entwickelt hat.
 
Als 1983 die ersten Berichte über eine mysteriöse Krankheit namens AIDS die Runde machten, zirkulierte innerhalb der Weltgesundheitsorganisation WHO eine interne Notiz, wie man mit dieser möglichen Gefahr am besten umgehe. Deren Autor meinte, die WHO brauche sich nicht weiter damit zu befassen, da sich „einige der reichsten Länder der Welt gut um das Problem kümmern“. Es kam bekanntlich anders. Zwischen 2000 und 2016 kletterten die weltweiten Ausgaben zur Eindämmung des HI-Virus auf weit über hundert Milliarden US-Dollar. In diesem beispiellosen Einsatz zur Bekämpfung einer einzelnen Krankheit sieht Jeremy Youde den ersten großen Schritt in Richtung eines globalen Gesundheitsregimes und ein Zeichen dafür, dass die Gesundheitsfürsorge in den vergangenen Jahrzehnten auf internationalem Parkett deutlich aufgewertet worden ist.

Ein weiterer entscheidender Schritt – nach vielen kleinen, von denen der Autor chronologisch berichtet – war 30 Jahre später die weltweite Reaktion auf die Ebola-Epidemie, die 2014 Westafrika beu­telte und  momentan in Kongo wütet. Zwar musste sich die WHO auch hier dem Vorwurf stellen, zu spät und nicht effizient genug gehandelt zu haben. Dennoch war sich die Staatengemeinschaft schnell einig, dass die Epidemie ein globales und nicht nur ein regionales Problem war. So verabschiedete der UN-Sicherheitsrat 2014 eine Erklärung, in der angesichts der Infektionskrankheit Ebola eine Gesundheitskrise erstmals als allgemeine Bedrohung für Frieden und Sicherheit eingestuft wurde. Das setzte eine Reihe von Reformen in Gang, die die WHO bei der Bekämpfung von Epidemien effektiver machen und die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gesundheit fördern sollten.

Historisch erläutert Youde den Weg von den ersten internationalen Sanitärkonferenzen 1851 zur Bekämpfung der Cholera über die Gesundheitsorganisation des Völkerbundes und der Gründung der Weltgesundheitsorganisation WHO 1948 bis zur von der WHO gesponserten Konferenz „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“. Dabei unterzieht er auch den Globalen Fonds gegen AIDS, Tuberkulose und Malaria einer kritischen Würdigung, ebenso nichtstaatliche Organisationen im Gesundheitsbereich wie Ärzte ohne Grenzen und die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, um die man bei der Diskussion globaler Gesundheitspolitik schlichtweg nicht mehr herumkomme.

Ein weiteres Kapitel widmet der Autor verschiedenen Trends in der Entwicklungshilfe im Gesundheitssektor. So gab es 1990 weitaus am meisten internationale Hilfsgelder für Müttergesundheit, an zweiter Stelle folgten Gesundheitsausgaben für Neugeborene und Kinder. Heute stehen AIDS/HIV-Programme an erster Stelle, Mütter- und Kindergesundheitsprogramme rangieren eher hinten.

Bei allem Reichtum an Zahlen, Fakten und Zitaten ist der Autor vor allem ein Theoretiker. Dienen all die Erkenntnisse, die er mit seinen Leserinnen und Lesern teilt, doch seiner These, dass die Strukturen der internationalen Gesundheitszusammenarbeit im Sinne der „Englischen Schule“ der politikwissenschaftlichen Disziplin der Internationalen Beziehungen zu betrachten sind: Nach dieser Schule integrieren sich Staaten über gemeinsame Werte, Normen und Institutionen auf lange Sicht in eine internationale Gesellschaft. Für Nicht-Politikwissenschaftler sind die vielen theoretischen Passagen über die Englische Schule zuweilen mühsam zu lesen – sie werden aber durch eine Fülle interessanter Materialien und griffiger Anekdoten entschädigt.
 

 

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