Komplexe Poesie

Die argentinische Autorin María Cecilia Barbetta erzählt in ihrem Roman vom Alltag nahe Buenos Aires zu Zeiten des Peronismus. Dank ihrer lyrischen Herangehensweise und der Vielzahl ihrer Charaktere ist die Lektüre aber keine leichte Kost.

Argentinien 1974. Der Tod des im Volk beliebten Präsidenten Juan Perón und die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch seine Frau läuten politisch unruhige Zeiten ein. Vor dieser Kulisse wirft die Autorin einen Blick auf das Alltagsleben der Bürger des beschaulichen Ortes Ballester und porträtiert eindrucksvoll verschiedene Perspektiven. Da gibt es etwa die zwölfjährige Teresa Gianelli, fromme Elevin einer katholischen Mädchenschule, ebenso wie Álvaro Fatini, Automechaniker in der Werkstatt Autopia und Chefredakteur einer kleinen Lokalzeitung, oder auch den extrovertierten Friseur Celio Rachello. Ihre Träume, Gewohnheiten, Freuden und Ängste stehen im Zentrum des Romans – so sehr, dass die politische Rahmenhandlung fast schon untergeht. Teresa etwa hat sich in den Kopf gesetzt, die Kirche näher zu den Christen im Ort zu bringen, und lässt dazu eine schützende Madonnenreplik von Familie zu Familie wandern. Álvaro philosophiert mit seinen Kollegen über linke Ideologien, und Celio erleidet einen harten Schicksalsschlag.

Auf 500 Seiten und in vier Abschnitten bietet Barbetta tiefe Einblicke die in argentinische Kultur und lässt ihre Leser eloquent und teils poetisch teilhaben am kulinarischen, musikalischen und traditionellen Leben der damaligen Zeit. Geschickt eingeflochten in die Geschichte finden sich etwa spanische Sprichwörter und Liedtexte, Ausführungen über landesübliche Leckereien wie Choripán, eine Art argentinischer Hotdog, sowie Beschreibungen der tiefroten Blüte des Ceibobaumes, der Nationalblume der Argentinier.

Äußerst fantasievoll schildert die Autorin auch die Träumereien und Spielereien der Kinder von Ballester, von der detektivischen Suche nach einer verschwundenen Katze bis hin zur brodelnden Gerüchteküche an der Mädchenschule, als eine Nonne rätselhafterweise verschwindet und von den Schülerinnen spontan zur Heiligen erklärt wird. Barbettas Sprachstil ist dabei experimentell; die Vielzahl an Metaphern, Anspielungen, Alliterationen und Umschreibungen verleiht „Nachtleuchten“ eine lyrische Ästhetik. Doch die vielen Schachtelsätze, Parallelerzählungen, Fremd- und Fachworte, plötzlichen Zeitsprünge und Perspektivwechsel erschweren auch den Lesefluss. Die Autorin verliert sich oft in einer Fülle von Details, so dass kaum ein dramaturgischer Bogen erkennbar ist. Zwar wird auf diese Weise fast jede Figur gleichberechtigt vorgestellt, doch erinnert die schiere Vielzahl von Charakteren und ihr komplexes Beziehungsgeflecht an klassische Dramen, mit dem entscheidenden Unterschied, dass Namen und Rollen nicht auf den ersten Seiten des Werkes nachgeschlagen werden können. Als Konsequenz droht beim Lesen literarische Orientierungslosigkeit – Barbettas anspruchsvolles Buch könnte damit abseits elitärer Literaturkreise eher auf Unverständnis stoßen.

 

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