Die Politikwissenschaftler Daniele Archibugi und Alice Pease zeichnen die Geschichte der internationalen Strafgerichtsbarkeit nach. Dabei diskutieren sie auch juristische und politische Fragen.
Im ersten Abschnitt zeigen Archibugi und Pease, dass internationale Strafverfahren bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts unvorstellbar waren. Die nationale Souveränität blieb das unantastbare Prinzip der zwischenstaatlichen Beziehungen. Wenn überhaupt, urteilten nationale Militärgerichte über Kriegsverbrecher aus den eigenen Reihen. Dabei waren die zum Zeitpunkt der Tat gültigen nationalen Gesetze der alleinige Maßstab, ob eine Handlung strafbar war. Eine der Konsequenzen: Hochrangige Entscheidungsträger blieben meist verschont, schreiben die Autoren. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die alliierten Siegermächte mit dem Primat des nationalen Rechts gebrochen, indem sie den Führungskräften des Nationalsozialismus vor dem internationalen Tribunal in Nürnberg den Prozess machten.
Seit Anfang der 1990er Jahre habe die internationale Staatengemeinschaft eine Reihe von nationalen und internationalen Tribunalen und Gerichten zur Verurteilung von Kriegsverbrechern oder Genoziden entwickelt. Sie waren zeitlich und regional begrenzt, zum Beispiel das Tribunal zur Aufarbeitung der Verbrechen der roten Khmer in Kambodscha. Ein Meilenstein sei die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag im Jahr 2002 gewesen, mit dem erstmals ein dauerhaftes Strafgericht jenseits des Nationalstaats geschaffen wurde.
Im zweiten Abschnitt folgen Fallstudien zu den Unterschieden zwischen den Tribunalen und Gerichten. Die Autoren untersuchen unter anderem das gescheiterte Verfahren gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Ein anderes Kapitel ist dem Prozess gegen den ehemaligen irakischen Staatspräsidenten Saddam Hussein vor einem nationalen Sondertribunal gewidmet.
Kosmopolitisch gesonnene Optimisten hätten mit den Institutionen des internationalen Rechts stets die Hoffnung auf globale und verbindliche Rechtsnormen verbunden, schreiben Archibugi und Pease. Auch mächtige Staatschefs sollten sich in Zukunft vor Gerichten verantworten müssen. Doch die Autoren lassen erkennen, wie weit die Realität davon entfernt ist. Meist würden die Richter direkt von nationalen Regierungen ernannt und auch die Durchsetzungskraft der Tribunale bleibe vom guten Willen der Staatschefs abhängig.
Die Autoren kritisieren, dass sich gegen die Interessen der Großmächte keine Verfahren auf den Weg bringen ließen. Das belege auch das Verfahren gegen Saddam Hussein, das die Autoren als eine Form der Siegerjustiz deuten. Nie seien mögliche Verbrechen der von den USA geführten „Koalition das Willigen“ im Irak untersucht worden. Deshalb liefere das Verfahren Zündstoff für weitere Konflikte. Das Buch bietet einen umfassenden und gut lesbaren Überblick über die Geschichte und die Probleme internationaler Strafgerichtsbarkeit. Vor allem wer sich einen ersten Überblick verschaffen möchte, kommt auf seine Kosten.
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