Von Machtrausch und Misswirtschaft

Hunderttausende fliehen aus Venezuela, und Wirtschaft und Währung stehen vor dem völligen Zusammenbruch. Hannes Bahrmann erklärt, wie der erdölreichste Staat der Erde infolge von Korruption und Misswirtschaft verfallen ist.

Der Autor lässt den gängigen Erklärungsversuch nicht gelten, dass Präsident Nicolás Maduro nach dem Krebstod seines charismatischen Vorgängers Hugo Chávez überfordert war und den Verfall der Erdölpreise nicht zu managen verstand. Er lässt schon an Chávez kein gutes Haar. Er sieht, gestützt auf Dokumente und Aussagen zahlreicher ehemaliger Weggefährten von Chávez in der „Bolivarianischen Revolution“ in erster Linie ein Programm zur Selbstbedienung und Machtverfestigung, das einigen Kämpfern und ihren Getreuen märchenhaften Reichtum bescherte. Misswirtschaft und hemmungslose Korruption haben, wie der Autor betont, aus dem reichsten Land des Subkontinents ein Armenhaus gemacht. So verpfändete bereits Hugo Chávez Venezuelas Erdölreserven und die Tankstellenkette Citgo in den USA für Milliardenkredite an China und den russischen Staatsbetrieb Rosneft. Darüber hinaus werden heute höchste Funktionäre und deren Angehörige – bis zum Sohn und Neffen der Gattin des jetzigen Präsidenten Nicolás Maduro – in den Vereinigten Staaten wegen Drogenhandels gesucht.

Chávez umgab sich seit seiner ersten Amtszeit mit dubiosen Gestalten wie dem argentinischen Neonazi Norberto Ceresole, schreibt Bahrmann . Die Machtbasis des ehemaligen Fallschirmjägeroffiziers war stets die Armee und der kubanische Geheimdienst, dessen Agenten in praktisch allen Institutionen des Landes das Kommando übernahmen. Auch in den vielgepriesenen Sozialprogrammen der Regierung, die wesentlich zur Armutsbekämpfung beitrugen, sieht Bahrmann vor allem ein wahltaktisches Vehikel, das Chávez auf Anraten seines Freundes Fidel Castro geschaffen habe. Die eiserne Kontrolle der Regierung über sämtliche Institutionen und auch über die Wahlcomputer des Landes habe sämtliche Wahlen zur Farce gemacht. Als die Opposition bei den Parlamentswahlen 2016 trotzdem siegte, entmachtete die seit 2013 amtierende Regierung Maduro das Parlament mit Hilfe einer verfassunggebenden Versammlung.

Man mag den negativen Grundton der Analyse nicht teilen, weil Chávez immerhin die Armut gemindert hat und vielen heute noch als Held gilt. Doch Bahrmann, der mehr als die Hälfte seines Lebens in der DDR verbracht und dabei ein feines Sensorium für die autoritäre und repressive Kaderherrschaft hinter sozialistischer Kampfrhetorik entwickelt hat, überzeugt mit vielen Fakten. Sein Band über Venezuela ist der letzte Teil (nach Kuba und Nicaragua) einer Trilogie über gescheiterte Revolutionen in Lateinamerika. Bedauerlich ist allein, dass die venezolanische Opposition, deren demokratische Grundhaltung zumindest in Teilen stark in Zweifel zu ziehen ist, weil einige in den Putschversuch von 2002 verstrickt waren, nicht näher beleuchtet wird. Hier hinterlässt das Buch einen etwas schalen Nachgeschmack – nicht zuletzt weil vieles, was Bahrmann schreibt, sich aus Oppositionsquellen speist.

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