Zeitreise nach Südafrika

Am 18. Juli wäre Nelson Mandela 100 Jahre alt geworden. Der Politikwissenschaftler Stephan Bierling porträtiert eingängig und anschaulich den Helden des Anti-Apartheid-Kampfes, der Versöhnung an die Stelle von Rache setzte.

Mit Hilfe von Mandelas Schriften und (Auto)Biographien von Zeitzeugen, Interviews und Archivrecherchen zeichnet der Autor das wechselvolle Leben Mandelas nach, von seiner Kindheit im ländlichen Ostkap über sein Jurastudium und seine politische Arbeit für den Afrikanischen Nationalkongress (ANC), seine langjährige Haft und schließlich seine Präsidentschaft. Einen Großteil der Darstellung widmet Bierling Mandelas politischem Denken und Handeln: Seinem Einstieg in die Politik, seiner Radikalisierung und seinem Weg in den Untergrund. Ausführlich setzt sich der Autor mit der Entscheidung zum bewaffneten Kampf und den wichtigsten Strafprozessen auseinander. Zudem zeichnet er differenziert Mandelas Auseinandersetzung mit Afrikanismus, Marxismus und Kommunismus nach – inklusive dessen von ihm selbst zunächst verschwiegene Mitgliedschaft im Zentralkomitee der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP). Bierlings hilfreiche Erläuterungen veranschaulichen Mandelas politische Überzeugungen und ideologische Positionsänderungen.

So geht der Autor auch auf Debatten Mandelas mit inhaftierten Mitstreitern ein, die andere Standpunkte vertraten und stellt dabei Mandelas Überzeugungstaktiken sowie seine Loyalität zum ANC in den Vordergrund. Das Spannungsverhältnis zwischen beiden beeinflusst Mandelas geheime Gespräche mit einzelnen Repräsentanten des Apartheidstaates, allerdings kommen hier auch sein Führungsanspruch und die Sorge von ANC-Vertretern im Exil über seinen möglichen Alleingang zum Tragen.

Bierling schätzt seinen Protagonisten, verklärt ihn aber nicht. Das gilt auch für Hinweise auf Brüche zwischen dem politischen und privaten Leben Mandelas. Familiäre und eheliche Probleme, etwa mit der früheren Ehefrau Winnie, spart er ebenso wenig aus wie die Instrumentalisierung des altersschwachen Mandela durch ranghohe ANC-Vertreter, allen voran durch Ex-Präsident Jacob Zuma.

Leserfreundlich ist das umfangreiche Namensregister, schließlich sind die couragierten Anti-Apartheidkämpfer oder die mächtigsten Drahtzieher im Dickicht des Apartheidapparats längst nicht allen bekannt. Schade allerdings, dass die Landkarte unvollständig und im Text von Stämmen die Rede ist. Und dass die Kooperation (west)deutscher Banken und Firmen mit dem Apartheidstaat sowie die umfangreiche Förderung von ANC-Gegnern wie der Inkatha beziehungsweise dessen Informationszentrums durch die Konrad-Adenauer-Stiftung nicht erläutert wird. Auch Helmut Kohl und Franz-Joseph Strauss werden nur kurz erwähnt. Von einem Buch, das sich an eine deutsche Leserschaft richtet, hätte man dazu mehr erwartet.

 

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