Der israelische Schriftsteller David Grossman findet in seinen Reden und Essays neue Perspektiven für den Nahostkonflikt – über die Mittel der Literatur.
Grossman ist dem deutschen Publikum vor allem seit seinem Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ bekannt. Darin verarbeitet er den Verlust seines Sohnes Uri, der als junger Soldat in den letzten Tagen des Libanonkrieges 2006 getötet wurde. Vielleicht ist es gerade die Tatsache, dass er Schriftsteller und nicht Politologe oder Sozialwissenschaftler ist, dass er Menschen so leicht an die Hand nehmen kann und sie neu auf den Israel-Palästina-Konflikt schauen lässt. David Grossmans Instrument ist nicht die auf belastbaren Fakten basierende Analyse. Er nutzt die Erklärungsmöglichkeiten der Literatur, um starre Deutungsmuster aufzuweichen wie zum Beispiel, dass die Israelis ein Volk seien, das dazu verurteilt ist, für immer im Krieg zu leben, oder die Palästinenser auf ewig unter Besatzung leben werden. Er will, dass Narrative wieder „zu einer Geschichte von lebendigen Menschen werden, die manchmal leiden und manchmal hoffen, von Menschen, die sich fürchten, zweifeln und lieben, von Menschen mit der Sehnsucht nach etwas Besserem“.
Dass es um die Sehnsucht und die Hoffnung in Israel und Palästina immer schlechter bestellt ist, weiß der Autor nur allzu gut, und er leidet darunter. Zu viele Schleifen hat der Konflikt mittlerweile gedreht. „Nicht auf dem Schlachtfeld wurden wir besiegt, sondern als Menschen“, sagt er 2015 in einer Rede in Harvard, die sich in diesem Buch ebenso findet wie weitere Reden und Essays, die er in den vergangenen zehn Jahren gehalten beziehungsweise veröffentlicht hat. Und am 75. Geburtstag von Joachim Gauck im selben Jahr beschreibt er das allgemeine Klima in Israel wie auch bei der palästinensischen Autonomiebehörde als „Lähmung und Stagnation“. Da ist es kaum verwunderlich, dass er als Literat über Menschen schreibt, „die sich so sehr an ihre verzweifelte Situation gewöhnt haben, dass sie sich vor Hoffnung geradezu fürchten, denn sie sind überzeugt, dass ihre Hoffnung enttäuscht werden wird“.
An diesem Punkt spürt Grossman der Frage nach, was es braucht, damit Menschen hoffen können. „Hoffnung ist untrennbar mit der menschlichen Vorstellungskraft verbunden, also mit unserer Fähigkeit, uns eine bestimmte Situation, die über jene, in der wir uns befinden, weit hinausgeht, so lebendig vorzustellen, dass wir uns damit aus den Fesseln der gegebenen Situation befreien“, sagt er noch 2015. Zwei Jahre später bringt er in seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz auf den Punkt, welche Aufgabe Literatur nicht nur im Israel-Palästina-Konflikt, sondern im postfaktischen Zeitalter insgesamt hat. „In einer guten Geschichte erfahren wir etwas über primäre zwischenmenschliche Beziehungen, über universelle, ewig gültige ethische Entscheidungen, über authentische, nicht manipulierte Emotionen.“
Diese Geschichten braucht es, damit sich – so Grossmans Hoffnung – Israelis und Palästinenser einmal „für die Komplexität des anderen Volkes öffnen, für seine Tragödie, seine Besonderheiten und seine Schönheit, für seine ganze Geschichte“. Kritiker mögen einwenden, dass es naiv ist, im literarischen Ansatz Grossmans eine realistische Friedensoption im Nahostkonflikt zu sehen. Doch welche anderen Optionen gibt es? Der Schriftsteller hat seine Antwort gefunden. „Manchmal denke ich, ich klammere mich an die Hoffnung auf Frieden, weil ich mir den Luxus der Resignation nicht leisten kann. Mag sein. Aber ich bin auch überzeugt, dass die Lage zu verzweifelt ist, um sie den Verzweifelten zu überlassen.“
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