Spannungsfeld Frieden und Strafverfolgung

Erstmals in der Geschichte verfolgt der Internationale Strafgerichtshof als Institution Kriegsverbrechen nicht nur rückblickend, sondern noch während sie sich ereignen. Mark Kersten beschreibt kenntnisreich, wie das mit Bemühungen kollidiert, Kriege zu beenden und Frieden auszuhandeln.

Seit seiner Gründung im Juli 2002 ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ein wichtiger Akteur auf dem Feld der Konfliktbearbeitung. Entscheidet er sich, in einem Fall die Strafverfolgung aufzunehmen, betritt er das politische Parkett, wie der kanadische Politikwissenschaftler Mark Kersten in seiner Studie über den IStGH schreibt. Für ihn ist deshalb auch klar, dass der IStGH die Suche nach Frieden schwieriger gemacht hat. Weniger klar hingegen ist, wie genau er das macht und ob die Verfolgung von Kriegsverbrechen generell eher eine Unterstützung oder ein Hindernis für Friedensprozesse ist.

In den ersten drei Kapiteln seiner Studie entwickelt Kersten ein Modell, um die Auswirkungen internationaler Strafgerichtsverfahren auf laufende Friedensprozesse einschätzen zu können. Dazu analysiert er verschiedene Phasen und Dynamiken von Strafverfolgung, Verhandlungs- und Vermittlungsprozessen sowie die Wechselwirkungen dazwischen. Im zentralen Teil seines Buches wendet er dieses Modell auf zwei Fallstudien an: zum einen auf Uganda und die Verhandlungsbemühungen mit der Lord‘s Resistance Army, zum anderen auf die Bemühungen, die Gewalteskalation in Libyen einzuhegen. In beiden Fällen hat sich, wie er darlegt, die Intervention des IStGH hinderlich auf den Verhandlungsprozess (Uganda) beziehungsweise auf die Bemühungen, die Gewalteskalation einzudämmen (Libyen), ausgewirkt.

Die Stärke von Kerstens Ansatz liegt darin, dass er klar, aber ohne pauschale Urteile herausarbeitet, wie genau die schädlichen Wirkungen auf Friedens- und Verhandlungsprozesse in den beiden Fällen zustande gekommen sind. So kommt er zu sachlich begründeten Einschätzungen der Ursachen. Um die Frage, ob und wie der IStGH grundsätzlich Friedensprozesse unterstützen kann, beantworten zu können, braucht es allerdings mehr Fallstudien nach Kerstens differenzierter Methode. Nur dann ließen sich mögliche Muster erkennen, die negative Entwicklungen auslösen.

Die Abhängigkeit der internationalen Strafgerichtsbarkeit und insbesondere des IStGH von der Zuweisung von Geld, Macht und Legitimation durch die Vereinten Nationen behandelt Kersten zwar, doch erscheint dies nur als Randargument. Auch auf die Rolle einflussreicher Kräfte, die den IStGH und seine Interventionen mit eigenen Interessen begleiten – beispielsweise im Fall der Strafverfolgung von Joseph Kony in Norduganda –, geht er kaum ein. Die größte Lücke ist, dass Kersten ausschließlich formale staatliche oder internationale Friedensprozesse berücksichtigt. Sogenannte „Track-2-Verhandlungs- und Friedensprozesse“ wie etwa in Uganda die Friedensbemühungen des dortigen Kirchenrates UJCC, in denen informelle und häufig zivilgesellschaftliche Akteure eine Rolle spielen, kommen nicht vor.

Erfrischend ist Kerstens angelsächsisch unverkrampfter Schreibstil. Damit sind die 202 Seiten zwar noch kein Lesevergnügen, aber informative und lehrreiche Lektüre. Auch die Bibliografie und der detaillierte Sach- und Personenindex sind beeindruckend. So dient das Buch auch als Nachschlagewerk, das einen Zugang zu einer aktuellen, komplexen Fachdebatte öffnet.
 

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