Anhand von Flüchtlingsschicksalen aus vier Kontinenten beleuchtet der Dokumentarfilmer Hank Levine, wie Geflohene in der Fremde leben und was sie in die Flucht getrieben hat.
Der Autor, Regisseur und Produzent Hank Levine eröffnet sein episodisches Langfilmregiedebüt mit einer verblüffenden Sequenz: Während die Kamera über der Sahara immer höher steigt, öffnet sich der Blick auf ein gigantisches humanes Ornament. Tausende Menschen, viele von ihnen in bunte Tücher gehüllt, haben sich so aufgestellt, dass sie im Sand Buchstaben darstellen. Aus der Vogelperspektive werden die Worte erkennbar: Sahara libre. Es ist eine visuell eindrucksvolle Kundgebung der vertriebenen Bewohner der Westsahara: Sie demonstrieren für die Unabhängigkeit ihres Heimatlandes, das marokkanische Truppen 1975 besetzt haben.
Der Einmarsch des marokkanischen Militärs löste damals eine große Flüchtlingswelle aus. Viele Sahrauis suchten Schutz in Algerien, wo sie noch heute in Lagern leben. Die alte Tarcha ist eine von ihnen. Sie sehnt sich danach, in ihre Heimat zurückzukehren, in der ihre Eltern und ihre sechs Geschwister inzwischen gestorben sind. Doch Tarcha hat die Hoffnung aufgegeben, dass es noch zu ihren Lebzeiten zu dem Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara kommt, das die Vereinten Nationen 1991 angekündigt hatten.
Levin geht zwar auch auf den Syrien-Krieg und die palästinensische Diaspora ein, doch im Fokus stehen eher „vergessene“ Tragödien oder Beobachtungen jenseits der Tagesaktualität. Das hebt seine Bestandsaufnahme von anderen Dokumentarfilmen über Flüchtlinge ab. So begleitet er mit seiner Kamera den Togolesen Bruno, der neun Jahre in einer Unterkunft in Mecklenburg-Vorpommern ausharrte, ehe er ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhielt. Jetzt setzt er sich für andere Flüchtlinge in der Bundesrepublik ein. Die politisch verfolgte Aktivistin Napuli ist aus dem Südsudan nach
Deutschland geflohen, wo sie mit politischen Aktionen für ihr Recht zu bleiben kämpft und in dem Deutschen Max einen Lebensgefährten gefunden hat. Eher beiläufig erfährt man über die Geschichte der in São Paulo lebenden Studentin Dana aus Damaskus, dass Brasilien für Syrerinnen und Syrer befristete humanitäre Visa ausstellt. Bislang haben allerdings lediglich rund 2000 vor dem Bürgerkrieg Geflüchtete das Angebot angenommen.
Die Filmaufnahmen entstanden im Südsudan, in Kenia, Haiti, Brasilien, Algerien, Myanmar, Kuba, Deutschland und in der Demokratischen Republik Kongo und der Westsahara. Levine verknüpft die Schilderungen der Flüchtlinge und ihrer Lebensumstände unter anderem durch
Dokumentaraufnahmen miteinander, etwa von der Vertreibung der Sahrauis aus der Westsahara. Auf einen erklärenden Off-Kommentar verzichtet er, aber die eingeschobenen Reflexionen der britischen Schriftstellerin Taiye Selasi, die in der deutschsprachigen Fassung von Jule Böwe gesprochen werden, setzen poetische Akzente.
Die Geschichten reflektieren zum Teil auch die unsteten Lebenswege des Filmemachers. Der in Deutschland geborene Hank Levine studierte an der Freien Universität Berlin, ging 1995 nach Los Angeles und später nach New York, wo er seine ersten Filme produzierte. Anschließend siedelte er nach Brasilien über, wo er unter anderem den Spielfilm „City of God“ koproduzierte. Heute lebt er in Düsseldorf und Berlin.
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