Nach landläufiger Meinung definiert sich Afrika durch Armut, Krieg und Hunger und hängt am Tropf der Industrieländer, die Jahr für Jahr Geld in ein „Fass ohne Boden“ pumpen. Der britische Journalist Tom Burgis macht eine andere Rechnung auf.
Im Jahr 2010 betrug der Wert der Brennstoff- und Mineralexporte aus Afrika 333 Milliarden Dollar, schreibt er: „Das ist mehr als das Siebenfache der Wirtschaftshilfe, die in den Kontinent floss. Nicht eingerechnet sind dabei die riesigen Summen, die durch Korruption und Steuertricks aus Afrika herausgeschmuggelt werden“. Weiter argumentiert Burgis, dass in Frankreich kein Atomkraftwerk laufen würde ohne Uran aus dem bitterarmen Wüstenstaat Niger, dass weltweit jede vierzehnte Tankfüllung aus afrikanischem Rohöl stammt und dass sich in jedem fünften Mobiltelefon ein kleines Stückchen Tantal aus dem östlichen Kongo befindet.
Der Hunger nach Rohstoffen hat das Bruttosozialprodukt in Afrika südlich der Sahara in den letzten Jahren sprunghaft steigen lassen. Aber gerade in den rohstoffreichsten Ländern ist die Armut am größten. Da drängt sich der Eindruck auf: Je mehr natürliche Reichtümer ein Land hat, desto schlechter geht es seiner Bevölkerung. Wissenschaftler haben für dieses Paradoxon den Ausdruck „Ressourcenfluch“ geprägt. Allerdings stimmt das nicht ganz, denn während das Volk hungert, schwimmt eine kleine Gruppe von Privilegierten im Geld und leistet sich jeden Luxus.
Also sind es doch die raffgierigen Eliten und korrupten Regierungen, die für das Elend in vielen Ländern des globalen Südens verantwortlich sind? Vorsicht! Tom Burgis hat Fakten zusammengetragen, die beim Lesen Gänsehaut verursachen können. Als Korrespondent der „Financial Times“ hat er über Jahre aus den Rohstoffstaaten Afrikas berichtet, bis er eines Tages mit einer posttraumatischen Belastungsstörung in einer Klinik landete. Das Buch diene auch der Verarbeitung dessen, was er in den Bürgerkriegsländern Afrikas erleben musste, bekennt er. Ein Massaker in Jos in Nigeria, dessen Zeuge er geworden war, hatte schließlich zu seinem seelischen Zusammenbruch geführt. Nach seiner Genesung beschloss er, den tieferen Ursachen der Auseinandersetzungen auf den Grund zu gehen.
Akribisch hat Burgis die fatalen Verflechtungen und kriminellen Machenschaften offengelegt, die zwischen (ehemaligen) Warlords und (jetzigen) Regierenden sowie zwischen Geheimdiensten der rohstoffhungrigen Industrie- und Schwellenländer und den multinationalen Konzernen existieren. Ob es sich um die Erschließung der Ölquellen in Angola, die seltenen Erden aus dem Kongo, das Uran aus dem Niger oder die Diamantenfelder in Simbabwe handelt: Er nennt die Akteure beim Namen. Ein krasses Beispiel ist der Chinese Sam Po, der als kleiner Geheimagent begann und seinem Land im Wettlauf um die Rohstoffe Afrikas zum Erfolg verhalf. China stellt bekanntlich keine „lästigen Fragen“ nach guter Regierungsführung, die inzwischen vermehrt von der internationalen Gemeinschaft gefordert wird. Aber auch westliche Firmen umgehen häufig Gesetze ihrer Länder, indem sie so tun, als wüssten sie nicht, dass sie in den Exportländern mit Scheinfirmen der Regierenden zusammenarbeiten.
Das liest sich wie ein Krimi – was es letztlich ja auch ist. Allerdings ist es nicht einfach, sich in dem Gewirr von Namen und Schauplätzen zurechtzufinden. Eines wird aber klar: Ohne die tatkräftige Unterstützung ausländischer Firmen, Agenten und Mittelsmänner hätten die neureichen Oligarchen und Potentaten, die ihre Länder mit Aggression, Krieg und Elend überziehen, keine Chance. Sie sind ja nicht auf Wähler angewiesen. Ihre Macht sichern sie sich mit Hilfe von Privatarmeen und Söldnertruppen, die Angst und Terror verbreiten.
Als Konsumenten in den reichen Ländern erspart uns Tom Burgis auch einen abschließenden Eintrag ins Stammbuch nicht: „Denkt nicht, Ihr hättet damit nichts zu tun.“
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