In seinem sehr persönlichen Bericht schildert der syrische Autor Niroz Malek den Alltag in seiner zerstörten Heimatstadt Aleppo. Seine Phantasien und Albträume zeugen von schrecklicher Gewalt, aber auch Hoffnung.
Niroz Malek will Aleppo nicht verlassen. Trotz Gefahr für Leib und Leben harrt der 70-Jährige in seiner Heimatstadt aus. Dabei könnte er ausreisen: Seine Tochter lebt mit seinen Enkeln in Köln, andere Familienmitglieder in den USA. Aber er kann sich weder von seinen Büchern und Platten trennen noch von den vertrauten Caféhäusern, Straßen und Freunden.
Stattdessen schreibt er auf Facebook, wie er in der belagerten Stadt überlebt. Wie es sich anfühlt, wenn in der Nachbarschaft eine Bombe explodiert, die Scheiben zu Bruch gehen und Häuser zusammenstürzen. Er schildert seine Spaziergänge in den Trümmern von Aleppo, auf der Suche nach vertrauten Parks, Häusern und Plätzen voller Erinnerungen.
Eine Auswahl von 57 kurzen Texten, realistische Miniaturen des Schreckens, Alltagsszenen, aber auch Ausflüge in die Welt der Träume, ist nun auf Deutsch erschienen. Sie zeugen vom Schmerz und von der Verzweiflung des Autors, dessen Welt in Schutt und Asche versinkt, aber auch vom literarischen Können Maleks. Ein Leitmotiv sind die Checkpoints, die die Bewegungsfreiheit immer weiter einschränken. Die Armeeposten mit den vielen schwerbewaffneten Soldaten aus allen Landesteilen stehen für die Belagerung Aleppos. Von ihnen und den vielen Scharfschützen gehen Gewalt und Zerstörung aus. Ein Junge mit Down-Syndrom wird von einem jungen Soldaten erschossen, weil er nicht versteht, dass er stehen bleiben und sich ausweisen muss. Das Hospital gleicht einem Schlachthaus, als unzählige verletzte Kinder hereingebracht werden, sie hinterließen „tiefrotes Blut, das wie ein Mohnfeld den weißen Marmoreingang des Krankenhauses bedeckte.“
Manchmal schließt der Erzähler die Augen und traut sich kaum, sie wieder zu öffnen. Er beginnt zu träumen, lässt seiner Phantasie freien Lauf, sieht „Aleppo, als es noch in seiner vollen klassischen Schönheit stand“, und denkt zurück an die Zeit, in der die Welt noch nicht aus den Fugen war. Dann hat er wieder Alpträume, sieht herumirrende Tote, die nicht beerdigt wurden und keine Ruhe finden. In diesen Momenten erinnern seine Stücke an phantastische Erzählungen.
Malek glaubte als junger Mann, er sei ein „Sohn des Friedens“, weil er ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges geboren wurde. Er hätte nie gedacht, schreibt er im Nachwort, dass er jemals ein „Sohn des Krieges“ würde. Mit seiner Kurzprosa wird Malek zum Chronisten des Gemetzels in Aleppo. Der syrische Bürgerkrieg habe sich in sechs Jahren zu einem Weltkrieg ausgewachsen und nichts deute darauf hin, dass er bald enden könnte, schreibt der Autor.
„Das syrische Territorium ist zum Schauplatz eines internationalen, zerstörerischen, barbarischen, schmutzigen Krieges geworden.“ Er nennt die erschreckenden Zahlen: mehr als eine halbe Million Getötete und Verkrüppelte, mehr als zwölf Millionen Geflüchtete innerhalb und außerhalb des Landes seit Kriegsbeginn. Hinzu kommt der Zusammenbruch der Infrastruktur und der öffentlichen Dienste, die Zerstörung von Krankenhäusern, Schulen, der Strom- und Wasserversorgung, der Industrie und der Landwirtschaft.
Malek schreibt, um vor der Welt Zeugnis abzulegen und um das Grauen zu verarbeiten. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als dass der Krieg endet, seine Kinder und Enkel und alle Syrer nach Hause kommen, dass sie das Land wieder aufbauen und ihre Toten bestatten, kurzum, dass der Frieden endlich Einzug halten möge.
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