Mehr als 300 Millionen Chinesen sind zwischen 16 und 30 Jahre alt. Der britische Autor Alec Ash hat sechs von ihnen jeweils drei Jahre begleitet. Er zeigt, wie sie leben und wie es sich anfühlt, in China erwachsen zu werden.
In Deutschland und anderen Ländern sind sie als Generation Y bekannt, in China heißen sie „Ba Ling Hou“ – übersetzt bedeutet das „die in den 1980er Jahren Geborenen“. Sie gelten als hochqualifizierte, sinnsuchende Weltverbesserer, die sich im Netz teils sicherer bewegen als in der analogen Welt. Für chinesische Männer und Frauen dieser Generation kommt ein entscheidendes Merkmal dazu: Die meisten von ihnen sind Einzelkinder.
Der britische Autor und Journalist Alec Ash will wissen, wie die Generation tickt, die aus der 1979 eingeführten Ein-Kind-Politik hervorgegangen ist. Dafür hat er drei Männer und drei Frauen jeweils drei Jahre lang begleitet, ihre Erinnerungen an die Kindheit dokumentiert und ihre Heimatorte besucht. Ihre Lebenswege zeichnet Ash im Wechsel in seinem Buch nach. Etwa den von Fred, der behüteten und wohlhabenden Tochter eines ehemaligen Funktionärs der kommunistischen Partei, und den von Snail, der aus einem Dorf westlich von Schanghai stammt, für ein Technikstudium nach Peking zieht und internetsüchtig wird.
Die jungen Erwachsenen müssen sich auf ihrem Weg immer wieder zwischen Vernunft und Selbstverwirklichung entscheiden. Das zeigen die Geschichten von Lucifer, der trotz ausbleibendem Erfolg von einem Leben als Rockstar träumt, und der freischaffenden Mode-Reporterin Mia, der es gelingt, ihre Feierleidenschaft und die Liebe zum Punk mit beruflichem Erfolg zu verbinden. Große Dramen bleiben aus, doch es stehen viele Fragen im Raum: Einen Job annehmen, nur weil er eine Krankenversicherung bietet? Eine günstige Wohnung auf dem Land mieten, statt nur für die Miete in der Stadt zu schuften? Es ist nicht ganz überraschend, aber Ash zeigt damit anschaulich, wie sehr sich die Generation Y über Grenzen hinweg ähnelt.
Gleichzeitig treten aber auch die Unterschiede gegenüber vielen westlichen Ländern deutlich hervor. Der Leistungsdruck in China ist härter – in der Schule, an der Universität und im Beruf. Und auch die Eltern erwarten viel. Das gilt vor allem für junge Frauen wie Fred und Mia. Beide sind beruflich erfolgreich und selbstbewusst. Doch der Gedanke, als „Übriggebliebene“ zu enden, also als eine mit Ende 20 noch unverheiratete Frau, bringt selbst sie ins Wanken.
Dass der Autor seit 2008 in Peking lebt, kommt dem Buch zugute, denn er lässt immer wieder Hintergrundinformationen zu Geschichte oder Popkultur einfließen. Etwas störend ist sein nacherzählender Tonfall: Die Protagonisten wirken wie weit entfernte und ungreifbare Anschauungsobjekte, obwohl Ash sie eigentlich gut kennt. Zudem sind nur zwei der sechs Geschichten miteinander verknüpft: Der Tunnelbauer Dahai und die hippe Kleinunternehmerin Xiaoxiao lernen sich in einem Online-Forum kennen und heiraten später. Das lässt die Kapitel zusammengewürfelt erscheinen und wirft die Frage auf, was der rote Faden ist – außer, dass alle im selben Zeitfenster geboren wurden.
Vielleicht ist es aber gerade das, was Ash zeigen will: Die Generation Y, zu der er selbst gehört, lässt sich nicht so leicht einordnen. Er habe das Buch auch deshalb geschrieben, weil „das verbreitete Bild junger Chinesen mit allzu wenigen groben Pinselstrichen und übertrieben knalligen Farbtupfern gemalt wurde“, heißt es im Nachwort. Er habe ihre Vielfalt aufzeigen wollen – für dieses hochgesteckte Ziel bietet sein Buch eine gute Grundlage.
Neuen Kommentar hinzufügen