Rund 120 Staaten haben das Statut zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag unterzeichnet. Dennoch stößt seine Rechtsprechung auf vielerlei Schwierigkeiten. Benjamin Dürr beschreibt, welche das sind, und bewegt sich dabei elegant zwischen Reportage und Analyse.
Benjamin Dürr hat viele Prozesse beobachtet und analysiert und besitzt intime Kenntnisse der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Darüber hinaus hat er als Journalist mehrere Länder bereist, in denen sich Verbrechen zugetragen haben, die in Den Haag verhandelt werden.
Entstanden ist ein kompakter, griffiger Text für ein breites, politisch interessiertes Publikum, das die Arbeitsweise des Strafgerichtshofs kennenlernen und die aktuelle Kritik an der Einrichtung einordnen möchte. 2016 haben sich Südafrika, Burundi und Gambia aus dem IStGH zurückgezogen, weil sie ihm vorwerfen, er ermittle in neokolonialer und rassistischerArt vor allem gegen afrikanische Personen. Vor diesem Hintergrund diskutiert der Autor die bislang neun Ermittlungsverfahren sowie einige der mehr als 20 Vorermittlungen. Dabei betont er die verschiedenen Möglichkeiten, Ermittlungen in Den Haag einzuleiten.
Mehrere Verfahren wurden von den Ländern, in denen ein Konflikt herrscht, selbst an den Gerichtshof überwiesen, andere vom Sicherheitsrat aus New York: Wer das weiß, so Dürr, könne den Vorwurf einer einseitig rassistischen Vorverurteilung nicht aufrecht halten. Durchaus kritisch beurteilt Dürr allerdings die Hemmnisse, an denen eine Strafverfolgung oftmals scheitert: So hat etwa Syrien das Statut des Gerichtshofs nicht unterzeichnet und pocht auf Nichteinmischung. Die Mitglieder des Sicherheitsrats, der Fälle an das Gericht überweisen könnte, erreichen bekanntlich seit Jahren keine einstimmige Resolution. So ist der Weg zu Vorermittlungen der Verbrechen im syrischen Bürgerkrieg momentan versperrt.
Neben vielen Informationen und historisch-juristischen Erläuterungen enthält der Text reportageartige Passagen, in denen der Autor die Bedeutung des IStGH illustriert. So berichtet er von den abenteuerlich anmutenden Ermittlungen - Arbeit ohne eigene polizeiliche Handhabe, Treffen unter konspirativen Umständen - im Osten des Kongo und beschreibt, wie Zeugen von dort auf ihre Reisen in die Niederlande, wo sie aussagen sollen, vorbereitet werden. Auch begleitet er syrische Aktivisten, die vor dem Gerichtsgebäude demonstrieren und belastendes Material für einen zukünftigen Prozess sammeln. Geradezu sinnlich gerät das Kapitel über den Alltag der verurteilten Straftäter in der Haftanstalt des IStGH in Den Haag, der „außergewöhnlichsten Wohngemeinschaft der Welt“, in der ehemalige Feinde mitunter gemeinsam kochen und an einem großen Tisch gemeinsam essen.
Trotz langwieriger Verfahren, gescheiterter Ermittlungen und der generellen Kritik am Gerichtshof fällt das Fazit des Buches positiv aus. Man müsse sich die gewaltsamen Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts in Erinnerung rufen, meint der Autor, um ermessen zu können, wie epochal die Gründung des IStGH tatsächlich war. Was Den Haag in den ersten 17, 18 Jahren geleistet habe, stehe für den Beginn eines Kampfes, der nicht mehr rückgängig gemacht werden könne.
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