Eine reuelose Frau

Mit ihrem Roman über eine unbeugsame Frau beschwört die französisch-marokkanische Autorin Saphia Azzeddine den freien Geist – und fesselt ihre Leser durch ihren lebendigen Erzählstil.

Ein zartes, unschuldiges Opfer ist sie nicht, die von Steinigung bedrohte junge Witwe Bilqiss. Schon auf Seite 25 erfährt man, dass sie eine Ohrfeige ihres Mannes mit zwei Pfannenhieben beantwortet hat. Hunderte mit Fensterputzen verbrachte Stunden hatten ihren Arm so gekräftigt, dass es eines dritten Schlages nicht bedurfte, um den Ungeliebten, der sie regelmäßig misshandelt hatte, ins Jenseits zu befördern.

Das ist nun also die Frau, in die der Richter sich verliebt, der ihr in diesem nicht näher benannten, streng islamischen Land den Prozess macht. Allerdings nicht, weil sie den dickbäuchigen Mann erledigt hat, mit dem sie verheiratet worden war, als sie 13 war und er 46. Seinen plötzlichen Tod hat sie erfolgreich als Unfall getarnt. Gesteinigt werden soll sie wegen eines anderen Vergehens: Statt des sturzbetrunkenen Muezzins hat sie vom Turm des Minaretts zum Morgengebet gerufen. Das aber ist Frauen untersagt, denn ihre Stimme könnte Männer verführen. 

Deshalb wollen die Dorfbewohner Blut sehen. Doch der Richter zieht den Prozess in die Länge. Immer wieder besucht er die Angeklagte in ihrer Zelle. Bilqiss ist ihm, was er sucht und braucht: eine streitbare Gegnerin bei Diskussionen. Eine Scheherazade, die Dinge ausspricht, Ärger erregt, sich nicht zurücknimmt. Die sich mit ihm auseinandersetzt, auch und gerade über den Koran und dessen Auslegung. Bei einer ihrer Bemerkungen im Gerichtssaal kann der Richter ein Lachen gerade noch unterdrücken und verhängt, um diese Entgleisung vergessen zu machen, 37 Peitschenhiebe auf dem Dorfplatz. Danach ist sie vorübergehend nicht mehr die vor Geist sprühende Bilqiss, sondern nur noch eine geschundene Gefangene. Der Richter bringt ihr, unter seinem Umhang versteckt, Salbe und Lebensmittel. 

Schließlich gesteht er ihr seine Liebe und will mit ihr fliehen. Als sie ihn zurückweist, will er sie töten. Jemand anderes hingegen möchte Bilqiss retten: Leandra Hersham, eine US-amerikanische jüdische Journalistin, die angereist ist, um über den Prozess zu berichten. Der wird inzwischen auch von der Weltöffentlichkeit verfolgt. Ein junger Mann hatte von einem schmuddeligen Cybercafé aus ein Video ins Netz gestellt, seitdem sieht man im Gerichtssaal immer mehr Handys. In Amerika ist Bilqiss zur Ikone geworden.

Für die Reporterin aus dem Westen ist die Angeklagte ein Vorbild für Frauen in der ganzen Welt. Sie wittert zudem „das beste Thema, von dem eine Journalistin träumen konnte: die unmögliche Liebe zwischen einem fundamentalistischen Richter und seiner Angeklagten“. Und auch sie wird von Bilqiss in ihren Bann gezogen. Obwohl oder gerade weil die ihr vorwirft, vernarrt zu sein in die unterdrückten Musliminnen: „Je barbarischer die Verfolgung, desto größer eure Anteilnahme.“

Sophia Azzeddine, in Marokko geboren und in Frankreich aufgewachsen, erzählt die barbarischen Seiten der Geschichte mit drastischen Worten. Sie beschönigt Grausames nicht, sondern überzeichnet sogar mitunter. Aber sie lässt auch immer wieder Situationskomik aufkommen und fesselt ihre Leser mit Geist und Ironie – so wie es ihrer Protagonistin Bilqiss würdig ist. Die drei Hauptfiguren des Romans und deren Entwicklung verknüpft sie geschickt zu einer schicksalshaften Verstrickung. Vorangetrieben von Bilqiss‘ Unbeugsamkeit und inneren Freiheit, steuert die Handlung des Buches auf einen fulminanten Schluss zu.

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