Die simbabwische Juristin zeichnet in ihrem Roman das Leben einer Außenseiterin nach und beschreibt dabei, wozu gedemütigte Frauen fähig sind.
Simbabwe galt einst als Kornkammer und Perle Afrikas. Heute fehlt es dem vom Mugabe-Regime heruntergewirtschafteten Land nicht nur an Korn, sondern auch an Lehrern und Krankenschwestern. Die Meldung in einer Wirtschaftszeitung, dass auch Henker gesucht würden, brachte die promovierte simbabwische Juristin Petina Gappah auf die Idee, einen Roman über eine Frau in einer Todeszelle zu schreiben. Zwar hat sie das berüchtigte Chikurubi-Gefängnis, in dem die Geschichte teilweise spielt, nie von innen gesehen. Ihre Beschreibungen von Folter, menschenunwürdigen Lebensbedingungen und Schikanen von Seiten sadistischer Wärterinnen basieren aber, wie sie versichert, auf Berichten inhaftierter Frauen.
Als Quereinsteigerin in die Literaturwelt folgt Gappah bekannten simbabwischen Schriftstellerinnen wie Tsitsi Dangarembga und der jung verstorbenen Yvonne Vera. Wie ihre Vorgängerinnen widmet sie sich dem von Gewalt geprägten Leben der Frauen und Mädchen im Land. Ihre Protagonistin Memory sitzt – zu Unrecht – wegen Mordes an ihrem Ziehvater im Gefängnis. Dort begegnet sie Kindsmörderinnen und einer Prostituierten, deren Kunden zur Elite des Landes zählten, bis sie mit Sicherheitspolizisten aneinander geriet.
In Rückblenden erfährt der Leser Details aus Memorys Kindheit und Jugend. So ist sie als Außenseiterin zu einer sehr genauen Beobachterin ihres Umfelds geworden, denn die junge Frau ist Albino. Die helle Hautpigmentveränderung gilt in Simbabwe als Fluch. Als ihre Mutter immer tiefer in Wahnvorstellungen abgleitet, kann ihr sorgender Vater das von Mitschülern mit Argwohn betrachtete Kind kaum noch schützen. Missverständnisse, Schweigen und Zuflucht in häuslicher Dunkelheit prägen Memorys erste Lebensjahre.
Schließlich nimmt ein aufgeschlossener weißer Dozent sie auf. Er begeistert Studierende für traditionelle Shona-Erzählungen ebenso wie für griechische Heldensagen. Memory besucht fortan eine gute Schule und erhält auch die teure Hautcreme, die sich ihre Eltern nie leisten konnten, so dass sie sich freier bewegen kann. Gemeinsam mit ihrem Ziehvater erkundet sie das erst 1980 unabhängig gewordene Simbabwe, in dem das koloniale Erbe in manchen Institutionen und Denkmustern noch immer wirkt.
Petina Gappah stellt vermeintliche Wahrheiten über ihre Heimat und die simbabwische Gesellschaft in Frage. Denn ihre Figuren konterkarieren formelhafte Beschreibungen der Gegensätze zwischen Schwarz und Weiß. Sie enttarnt subtile Gewaltmuster, die aus Aberglauben und übermächtigen Geistervorstellungen hervorgehen und hinter der Verklärung der Tradition stecken. Gappah hält einer Gesellschaft den Spiegel vor, die Außenseiter ausgrenzt, verhaftet und mit dem Tode bedroht. Sie nimmt ihre Leser mit auf einen rasanten Nachtflug durch eine, von politischer Gewalt erschütterte Gesellschaft, in der gedemütigte Frauen ihrerseits ihren Mitmenschen Gewalt antun und auch einige Männer versuchen, Lichter der Mitmenschlichkeit in die Dunkelheit zu bringen. Ein lesenswertes Buch.
Neuen Kommentar hinzufügen